Der Traum vom eigenen Boot

 

Im Frühjahr 2011 hegte ich die Absicht, nach drei Jahren in den USA nach Deutschland zurückzuziehen. Per Anhalter auf einem Segelboot klang nach einem stilvollen Abgang, wobei ich allerdings schnell merkte, dass ein solches Abenteuer ein recht kurzes werden würde, so ich denn ostwärts über den Atlantik segelte. Also beschloss ich, westwärts von den USA nach Europa zu segeln, über den Pazifik, den Indischen Ozean, um das Kap der Guten Hoffnung und durch den Atlantik von Süden nach Norden. Ich überzeugte meine damalige Freundin, die wunderbare Wynne, mich zu begleiten, und zwei stressige Monate später befanden wir uns mit einer vierköpfigen französischen Familie auf dem Weg von San Diego nach Nuku Hiva in den Marquesas.

 

Leider kann man sich als Anhalter nicht immer aussuchen, wo es hingeht, zumal es schon recht spät in der Saison und der Großteil der Boote bereits weiter westlich war. Wir passierten die Tuamotus, Tonga, Fiji und Vanuatu, ohne einen Fuß an Land zu setzen, und so entstand der Traum, das Ganze irgendwann einmal auf eigenem Kiel zu machen. Daher ist meine Mission mit dem Schwimmdings denkbar einfach: Einmal um die Erde. Danach kann ich das Boot guten Gewissens verkaufen und mir neue Abenteuer suchen.

 

Abgesehen davon, dass wir das eine oder andere Paradies auslassen mussten, war es allerdings eine Reise, die ich nie vergessen werde. Mit der französischen Familie, das war von Anfang an so ausgemacht, segelten wir nur bis Nuku Hiva in den Marquesas. Unsere erste große Ozeanpassage: 2800 Seemeilen in knapp 20 Tagen.

 

Auf Nuku Hiva wanderten wir oder fuhren per Anhalter quer über die Insel, campten an einsamen Stränden und kochten auf dem offenen Feuer, weil für einen Gas- oder Benzinkocher nun wirklich kein Platz mehr in unserem Gepäck war. Immerhin schleppten wir unsere Rettungswesten und Regenbekleidung, warme Sachen, denn anfangs ab San Diego waren die Nächte noch kalt, Zelt, Isomatten, Schlafsäcke, Koch- und Essgeschirr, Verpflegung, Computer und vieles mehr mit uns rum, und weil wir die ganze Reise mit einem mehr oder weniger nichtexistenten Budget angetreten waren, war keine der Komponenten in moderner Leichtbauweise konstruiert. Auf Wynnes Rücken befanden sich gute 30 Kilo, auf meinem über 40. Das Frühstück sparten wir uns, zum Mittag- und Abendessen gab es Reis und Bohnen mit Brühwürfeln und etwas Öl.

 

Klingt nach fader Kost? Ganz so schlimm war es nicht, denn hin und wieder gelang es uns, ein paar Rifffische, Krebse oder wilde Hähne zu fangen, letztere waren zwar ausgenommen zäh, hatten aber den positiven Nebeneffekt, dass wir nach einem Fang besser schliefen. Zudem war die Gastfreundschaft der Marqueser absolut unvergleichbar. Wir wurden mit Früchten nur so überhäuft, und allein die Menge an Pomelos, die man uns säckeweise vor das Zelt stellte, war kaum zu bewältigen. Ich denke, das muss zum Teil daran gelegen haben, dass wir versuchten, jeden mit Respekt zu behandeln, nichts als selbstverständlich anzusehen. Wenn eine Kokosnuss auf dem Boden lag, fragten wir, ob der Strand und somit die Nuss jemandem gehörten, und auch bei den Hähnen erkundigten wir uns zunächst, ob wir sie jagen dürften. Ich denke, dass man uns diesen Respekt hoch anrechnete. Ebenso fragten wir stets, wo wir unser Zelt aufstellen könnten und selbst bei Stränden stellten wir sicher, dass sie nicht in Privatbesitz waren. Auf diese Weise wurden wir gleich zweimal von Leuten eingeladen, bei ihnen unterzukommen, und auch wenn die Kommunikation aufgrund unserer eher rudimentären Französischkenntnisse nicht immer ganz einfach war und wir viel nachfragen mussten, verstand man sich doch immer irgendwie und wir lernten viel über die lokale Kultur.

 

Schließlich fuhren wir mit einem australischen Einhandsegler nach Tahiti, von wo aus wir die Fähre ins nur 20 Meilen entfernte Mo’orea nahmen. Von dort nahm uns ein Franzose mit nach Ra’iatea und schließlich ein Amerikaner nach Neukaledonien. Das war die Überfahrt, auf der wir Tonga und Fiji passierten, sogar ein paar der zahllosen kleinen Inseln sahen, ohne je anzuhalten.

 

In Australien schließlich arbeiteten wir dann zwei von drei Monaten, um endlich so etwas wie eine Reisekasse zu haben. Dort erreichte uns bereits im Dezember 2011 eine Email von einem kanadischen Paar, das fragte, ob wir im Spätsommer 2012 mit ihnen von Bali nach Südafrika segeln wollten. Wollten wir. Allerdings bedeutete das auch, dass wir zwischen dem Auslaufen unseres Visums in Australien und der Überfahrt fast neun Monate Zeit haben würden, und so flogen wir nach Thailand und reisten durch Kambodscha, Vietnam und Laos, wo wir schließlich vier Monate für eine deutsche Entwicklungshilfeorganisation in entlegenen Bergdörfern arbeiteten.

 

Auch diese Erfahrung war ein bedeutender Teil des Abenteuers, den ich nicht missen möchte, denn wir waren die einzigen im Feld und lebten bei Gastfamilien, schliefen wie sie auf dünnen Matten unter Mückennetzen auf dem Boden und aßen mit ihnen mal exzellente und mal exotische Kost. Niemand dort sprach ein Wort Englisch, so dass wir notgedrungen Lao lernen mussten. Es gab keine Straßen und keine Autos, und es bedurfte einer drei- bis vierstündigen Reise auf einem Boot durch von üppigem Dschungel überzogene Karstschluchten den Nam Ou Fluss hinauf, um von Nong Khiaw in die Dörfer zu gelangen.

 

Die Überquerung des Indischen Ozeans war zwar angenehm, doch erneut durchkreuzte der Besitzer unseren Plan ein wenig, als er in letzter Sekunde entschied, Madagaskar auszulassen, und so wurde meine Absicht, irgendwann selbst entscheiden zu können, wann und wo ich Halt mache, noch einmal bestärkt.

Wynne am Ta'ahiamanu Strand in Mo'orea.

Der Weg von Hatihe'u nach Anaho in Nuku Hiva mit 70kg Gepäck, verteilt auf zwei Rücken.

Kochen auf dem offenen Feuer. In diesem Fall ein selbst gefangener wilder Hahn.

Wynne und ich in der Bucht von Taipivai, Nuku Hiva.

Zelten in der Bucht von Anaho, Nuku Hiva.

Hin und wieder konnten wir die tägliche Reis-Linsen-Suppe mit frisch gefangenen Rifffischen aufbessern.

Wynne und unser Kapitän Philippe auf dem Weg von Mo'orea nach Ra'iatea.

Ein Fischer in Opunohu Bay, Mo'orea, schenkt uns Thunfisch-Schwänze.