Crew
Gute Crew zu finden, ist schwer, weshalb ich eigentlich auch sehr gerne alleine unterwegs bin. Das größte Problem ist, dass Leute mein Boot nie so behandeln, wie sie ihr eigenes behandeln würden. Und sollten sie auf ihrem eigenen Boot ein gleiches Maß an Sauberkeit an den Tag legen wie auf meinem, würde ich ihnen wahrscheinlich nur FFP2 geschützt begegnen wollen.
Kneipengespräche verdeutlichen den Unterschied zwischen den jeweiligen Einstellungen. Crewmitglieder verschiedener Boote tauschen sich zumeist über die Penibilität der Besitzer aus, während Letztere sich am anderen Ende des Tisches über die Sorglosigkeit ihrer Crew beschweren. Als Wynne und ich seinerzeit selbst per Anhalter segelten, wurden wir häufig mit dem Argument abgelehnt, man habe schlechte Erfahrung damit gemacht, Backpacker mitzunehmen. Ich möchte annehmen, dass Wynne und ich besser waren als die meisten. Die Bedenken der Bootsbesitzer kann ich heute aber dennoch nachvollziehen.
Freunde von mir nehmen überhaupt keine Backpacker mehr mit, sondern nur noch Leute, die dreißig oder vierzig Euro am Tag für die Mitfahrt bezahlen. Die gibt’s zur Genüge. Menschen, zum Beispiel, die keine Geldsorgen, dafür aber einen bestimmten Segelschein haben, den zu erweitern sie Seemeilen brauchen. Oder einfach Menschen, die keine Geldsorgen haben, Punkt. Ich bin noch nicht so weit. Meine Ozeanüberquerungen 2011/12 waren möglich, weil Bootsbesitzer mir und Wynne eine Chance gaben, und so oft ich auch auf die Schnauze falle, möchte ich es doch weiter versuchen.
Einen Extremfall hatte ich von Tonga nach Fidschi an Bord, einen Amerikaner in meinem Alter. Der hinterließ nicht nur ständig und überall einen Saustall, sondern setzte sich beim Segeln und Navigieren auch über direkte Anordnungen von mir hinweg, weil er meinte, alles besser zu wissen. Nachts musste ich mir teilweise selbst während seiner Wache den Wecker stellen, um nach dem Rechten zu sehen, was natürlich den Hauptgrund, überhaupt Crew mitzunehmen, gänzlich negiert. Er konnte in der Tat segeln, allerdings bei Weitem nicht so gut, wie er selbst dachte. Diese Selbstüberschätzung hätte uns mehrmals beinahe in Probleme gebracht.
Prinzipiell ist mir dann unerfahrene Crew lieber, die einfach genau das macht, was ich ihr sage. Wobei es auch da Ausnahmen gibt. Als ein Crewmitglied mich wenige Tage nach dem Auslaufen in Panama auf der längsten Etappe der gesamten Weltumsegelung fragte, wo sie denn strafrechtlich verfolgt werden würde, sollte sie auf hoher See ein Verbrechen begehen, hätte ich mir doch ein wenig mehr Basiswissen gewünscht. Ich glaube, ich hätte ein wenig besser geschlafen, wenn sie sich diese spezifische Frage verkniffen hätte.
Das Ironische ist, dass ich eigentlich die perfekte Crew bereits versammelt hatte. Meine guten Freunde Rodrigo und Doran wollten mit mir die gesamte Weltumsegelung bestreiten. Leider kam dies und das dazwischen. Doran flog bereits in die Karibik, um schon auf der ersten Atlantiküberquerung ostwärts dabei zu sein. Auf den Azoren allerdings verliebte er sich – ausgerechnet auf dem Schwimmdings – und beschloss, dem nachzugehen. Natürlich bestärkte ich ihn darin, denn von Cupido gefeuerte Pfeile zu zerbrechen kann dem eigenen Glück kaum zuträglich sein, und somit war ein Crewmitglied schon mal raus. Doran half mir dennoch in der Werft einen Monat lang für keine weitere Bezahlung als Essen und Bier, und fuhr auch erneut mit über den Atlantik. Auf den Britischen Jungferninseln aber war für ihn dann Schluss.
Rodrigo war zu diesem Zeitpunkt bereits lange nicht mehr an Bord. Rodrigo ist der beste Reisegeselle, den man sich nur wünschen kann. Wir lernten uns 2016 in Nicaragua kennen, reisten gemeinsam durch Honduras und Guatemala und trafen uns im Januar 2020 in Myanmar, um Südostasien gemeinsam zu bereisen. Leider kam mir dann der Job auf der Peking dazwischen, aber ich versprach ihm, möglichst bald ein Boot zu kaufen und ihn mit auf meine Weltumsegelung zu nehmen. Der arme Mann reiste 50 Stunden von Buenos Aires nach Fuengirola in Südspanien, wo Doran und ich mit dem Schwimmdings warteten, nur um dann gleich auf der ersten Etappe zu den Kanaren festzustellen, dass die See seinem Magen so gar nicht bekommt. Nach vier Tagen entsetzlicher Agonie setzte er mich gleich nach unserer Ankunft in Graciosa darüber in Kenntnis, dass er über die Kanaren hinaus nicht mit mir weiterreisen werde, was angesichts der Tatsache, dass ihm dort selbst vor Anker hin und wieder leicht übel wurde, sicherlich die richtige Entscheidung war.