Die Dom Rep ist schön und gut, aber wohl eher für Strandurlauber geeignet als für Segler. Der große Umschlagplatz für Langfahrer liegt in Luperón im Nordwesten des Landes, wo Amerikaner den Winter verbringen oder sich sogar dauerhaft niedergelassen haben. Man vergesse nie, dass nur Ausländer in den USA Immigranten sind, während Amerikaner im Ausland Expats heißen. Wie dem auch sei. Weil ich prinzipiell nach Süden will, man die Gewässer Haitis, mit dem sich die Dom Rep die Insel Hispaniola teilt, aber tunlichst meiden sollte, liegt Luperón so wirklich gar nicht auf meiner Route. Die Bucht von Samana weiß allerdings ebenfalls zu gefallen, und der Nationalpark um die Bahía de San Lorenzo ist eine der schönsten Ankerbuchten, die ich je gesehen habe. Atemberaubende, von tropischer Vegetation überwucherte Klippen säumen hier die Küste, während Geier und Reiher in solchen Mengen über ihnen kreisen, dass man sie aus der Ferne für dunkle Wolken halten kann. Mehrere große Höhlen gilt es zu erkunden, zudem gibt es Mangrovenflüsse, die mit dem Dinghy erschlossen werden können und in denen die Stille fast schon gespenstisch ist.
So weit so gut, Dom Rep. Das Nervige ist nur, dass man, will man innerhalb des Landes den Liegeplatz wechseln, dafür jedes Mal ein sogenanntes Despachio braucht, das von der Armada, also der Kriegsmarine ausgestellt wird und für dessen Erhalt man nicht selten ein paar Stündchen seiner kostbaren Zeit aufbringen muss. Zudem stellen sich die als von traumhaften Palmenstränden gesäumt angepriesenen Ankerplätze im Süden des Landes als leichter Etikettenschwindel heraus, denn obwohl Palmbewuchs nicht geleugnet werden kann, wird das Attribut „traumhaft“ hier ein wenig zu liberal vergeben. Erstens sind die Ankerplätze nicht geschützt und so größtenteils einer nicht erheblichen, aber auf Dauer doch leicht am Schoße des Gemüts zupfenden Dünung ausgesetzt. Zweitens fehlt mir ein wenig die Topografie. Die ersten drei Stufen – türkises Wasser, weißer Sand, Palmen – werden zu meiner Zufriedenheit bedient, aber die vierte Stufe – kantige, zackige, von tropischem Regenwald überwucherte Berge – fehlt hier komplett. Das Land ist flach und so fehlt dem Auge ein Hintergrund. Und drittens kann ich einfach nicht traumhaft finden, was neben mir tagtäglich tausend Touristen ebenfalls traumhaft finden, wobei diese Zahl – wenn überhaupt – nicht weit übertrieben sein kann. Jeden Morgen kommt Motorboot über Motorboot mit Tagesausflüglern an, die dann bis in den späten Nachmittag bleiben und sich am ach so traumhaften Palmenstrand mit billigen Drinks (mir egal) und sehr lauter Musik (mir ganz und gar nicht egal) den Hirnstamm aufweichen, wobei ein Nebeneffekt, den wohl nur hardcore Achterbahnfans wirklich schätzen werden, darin liegt, dass die Bugwellen der fünfzig Touriboote den Ankerplatz zweimal am Tag für eine knappe Stunde in eine schäumende See verwandeln. Ohne jeglichen Respekt für die wenigen ankernden Yachten brettern die Kapitäne mit 20 Knoten teilweise nur wenige Meter an denselben vorbei. Traumhaft ist bei mir anders.
Vielleicht allerdings ist meine Laune auch einfach nur wegen der Überfahrt von Samana in den Süden getrübt, denn die war unschön. 25 Knoten Wind genau auf der Nase bedeuten dort viel Kreuzen, ruppige See und sehr wenig Schlaf. Immerhin bin ich seit den BVIs alleine unterwegs. Da hilft es dem Seelenwohl kaum, als ich beim ersten Licht des Morgens eine fürchterliche Entdeckung mache. Das Reffprofil der Genua, das in meinem Fall nicht aus einer einzelnen Aluminiumhülse, sondern aus durch Madenschrauben gesicherten Teilstücken besteht, hat sich am Übergang zwischen zwei solchen Teilstücken auseinandergeschoben, und ich weiß jetzt schon, dass ich das Segel nicht werde reffen können, ohne es zu beschädigen. Wie sagt man doch so schön? Blauwassersegeln bedeutet, sein Boot an paradiesischen Orten zu reparieren. Oder eben an Orten, die tausend Touris für paradiesisch halten.
Vor der Insel Saona kommt mein neues Crewmitglied Miro an Bord. Miro hat ein ganz interessantes Leben hinter und, wie ich ihn kenne, auch noch vor sich. In Polen geboren floh er 1987 im zarten Alter von 18 Jährchen aus dem Ostblock und kam schließlich nach Deutschland, wo er im Essener Hauptbahnhof ein Café betrieb. Irgendwann merkte er, dass es mehr geben müsse, als jeden Morgen Kaffee und Gebäck an dunkle Augenringe mit Hut zu verkaufen. Er machte den Laden dicht, fing das Segeln an, tauschte also sozusagen belegte Brötchen gegen bewegte Bötchen und kaufte sich nach einer Pazifiküberquerung als Crew sein eigenes Boot. Selbiges brachte er in die Karibik, wo er die Kabinen vercharterte und Touristen auf die wunderschönen San Blas Inseln brachte. Nach ein paar Jahren schließlich veräußerte er sein Boot und legte sich von dem Geld ein schönes Stück Land in Minca in Kolumbien zu, auf das er zwei hübsche Häuschen baute, deren eines er nun bewohnt und deren anderes er vermietet.
Am Silvesterabend gehen wir in dem winzigen Örtchen Mano Juan auf der Insel Saona zur Armada, um uns das Despachio für den nächsten Ankerplatz zu holen. Am Tag ist Mano Juan von Touristen auf Tour nur so überlaufen, aber inzwischen ist der Ort wie ausgestorben. Das Despachio dauert, weil der diensthabende Gefreite Buchstaben mehr zeichnet als schreibt, so lange, dass Miro, dem das fantastisch frische Wassermacherwasser auf dem Schwimmdings nicht schmeckt, kurz vor dem Verdursten steht. Glücklicherweise hat er am Tag zuvor einen Polen hier kennengelernt, der nur ein paar Häuser weiter ein kleines Restaurant betreibt. Wir kehren ein, und schnell eruieren die wenigen Touristen, die tatsächlich über Nacht in diesem Nest bleiben, dass hier am lautesten gelacht wird. Es findet sich eine nette gesellige Gruppe, die schließlich von dem Gefreiten, der mein Despachio gemalt hat, unterbrochen wird, weil er den Stempel vergessen hat.
Ich gehe mit ihm zurück ins Hauptquartier, wo der gleiche Schaben-ähnliche Riesenkäfer nach wie vor durch die winzige Wachstube krabbelt. Ich erkundige mich, ob es sich um einen Kakerlak handele, woraufhin der Gefreite mit den Schultern zuckt und erwidert, das frage man sich seit Tagen, wahrscheinlich aber schon. Dann zeigt er sich verwundert, dass wir noch da seien und wann wir denn aufzubrechen gedächten. Ich erkläre in meinem etwas enttäuschenden Spanisch, seine Bearbeitung habe zu lange gedauert, so dass wir nun erst am nächsten Tag loskönnten, was ihm aber nicht gefällt, da wir für den Folgetag schließlich kein Despachio hätten. Er sagt, wir müssten am nächsten Morgen erneut herkommen, was immerhin einen Fußmarsch von einer guten Dreiviertelstunde pro Richtung bedeutet, und ich erkläre ihm, nach Dergleichen stehe mir nicht der Sinn. Als ich ihn frage, ob er das Datum auf dem Despachio nicht einfach ändern könne, wirft er mir einen Blick zu, als hätte ich soeben den Umsturz der Regierung vorgeschlagen. Nach langem Hin und Her und der weisen Diplomatie des hinzugezogenen Comandante einigen wir uns darauf, dass man mir das nagelneue frisch gemalte Despachio am nächsten Tag an den Strand der Bucht bringt, in der ich vor Anker liege. Auf diese Weise brauche ich nur mit dem Dinghy zum Strand zu fahren, spare mir aber den Fußmarsch, und ob der arme, mit der Aufgabe der Auslieferung bebürdete Tropf Bock hat, am Neujahrstag um acht Uhr morgens einen Zettel an einem verwaisten Strand auszustellen, ist natürlich irrelevant.
Weil es gleich dann auch mit meinen negativen Eindrücken der Dom Rep weitergehen wird, möchte ich an dieser Stelle schnell noch etwas Positives einbauen. Der Ort Bayahibe, den wir als nächstes ansteuern, gefällt mir nämlich ganz fantastisch. Auch hier wird es morgens und nachmittags wild, weil von hier viele der Tagesausflüge zu den traumhaften Palmstränden starten, die ich gar nicht so traumhaft finde, aber der Ort selbst hat nur wenige Touristen. Abends, wenn die zahllosen Reisebusse erst einmal weg sind, gehören die Straßen den Einheimischen, und die mögen Fiesta. Interaktionen bleiben ob meiner Probleme mit dem dominikanischen Spanisch und der ambienten Lautstärke oberflächlich, aber die Stimmung, der Vibe, die Vitalität in den Gassen des kolonialen Kerns sind ansteckend und erhebend.
Unsäglich wird dann das Ausklarieren. Der nächste Ort, an dem das möglich ist, ist La Romana. Die Ankersituation hier ist verheerend, denn die einzige valide Option befindet sich in einem Fluss, der selbst eine gewisse Strömung mit sich bringt und bei auflaufendem Wasser stehende Wellen bildet. Es ist ruppig, aber idealerweise wird das hier nicht allzu lange dauern. Ausklarieren, Proviant, ab nach Panama: Was kann da schon schiefgehen? Immigrationsbehörde und Zoll befinden sich in unmittelbarer Nähe zum Ankerplatz im Fluss und man behandelt uns mit professioneller Freundlichkeit. Alles scheint gut, bis man uns die Papiere, die ich für das Einklarieren in Panama nun mal benötige, nicht aushändigt. Genervt sitzen wir da und warten. Immer wieder fragt Miro, der fließend Spanisch spricht, wie lange es denn dauern könne, einen Stempel auf einen Zettel zu setzen, und ob wir wenigstens in der Zwischenzeit, während der Comandante seinen Kaiser Wilhelm zeichnet, schon mal zum Supermarkt könnten. Doch obwohl der Mittag lange zum Nachmittag geworden ist und Miro darauf hinweist, dass eine Ausfahrt aus diesem Fluss im Dunkeln angesichts der Strömungen und stehenden Wellen durchaus gefährlich werden könne, beharrt man ehern darauf, dass wir warten.
Worauf wir warten, wird eine volle Stunde später evident, als wir plötzlich von fünf Zollbeamten mit Sturmgewehren und voller Kampfmontur umringt sind. Dazu gesellen sich eine in schickes Business-Zivil gekleidete junge Frau, die wenig sagt, und ein Comandante von solcher Idiotie, dass man sich fragen muss, wie er seine Schuhe schnürt, ohne die Senkel zu verwechseln. Mit militärischem Befehlston verlangt er nach dem Kolumbianer. Ich erwidere, einen solchen gebe es hier nicht, was ihn sichtlich verwirrt. Leicht verunsichert erklärt er, man habe ihn informiert, ein Kolumbianer versuche, das Land zu verlassen. Ich erläutere, Miro lebe in Kolumbien, sei aber Pole. Sofort kehrt beim Comandante der Befehlston zurück, mit dem er nach Miros Pass verlangt. Ich händige ihn ihm aus. Für das Studium desselben benötigt er einige Minuten, was nichts im Vergleich zu der Ewigkeit ist, die er braucht, um den einfachen Sachverhalt zu verstehen, dass Miro per Flugzeug in das Land eingereist ist und dieses nun per Segelboot wieder zu verlassen sucht. Mindestens ein halbes Dutzend Mal wiederholt er mit verwirrter Miene seine Frage, wo wir hinführen. Miro gibt sich keine Mühe mehr, seine Genervtheit zu verbergen, als er wieder und wieder „Pa-na-ma“ angibt, die einzelnen Silben betonend, als spreche er in der Hoffnung auf Nachahmung zu einem Säugling. Offenbar passt die Komplexität des Sachverhalts, dass ein Pole mit Wohnsitz in Kolumbien per Segelboot von der Dom Rep nach Panama fahren möchte, nicht in die wenigen wässrigen Windungen des Offiziers-Zerebrums. Wie bereits erwähnt, spricht Miro fließend Spanisch, so dass es sicherlich nicht an der sprachlichen Hürde scheitert.
Nach sehr zäher, am Ende aber doch erfolgreicher Informationsübermittlung ordnet der Comandante eine gewissenhafte Durchsuchung des Schwimmdings an. Aus irgendeinem Grund scheint er felsenfest davon überzeugt, dass ein in Kolumbien wohnhafter Mensch – ganz gleich welcher Nationalität – Drogen schmuggeln muss. Dass Kolumbien der zweitgrößte Kokainproduzent der Welt ist, dass also Kolumbianer vor der eigenen Haustür ausreichend Drogen zum Schmuggeln finden und es somit für sie wenig Sinn ergäbe, Drogen von der Dom Rep nach Panama zu bringen, scheint dem Comandante dabei ebenso zu entfallen wie die Tatsache, dass Miro per Flugzeug angereist ist und dementsprechend gar keine Drogen ins Land hätte bringen können.
Das Boot, das uns zum Schwimmdings bringt, rammt dieses in der stehenden Welle des Flusses hart genug, um ein gutes Stück Gelcoat auszureißen, den notwendigen Schutz des Fiberglases. Meine diesbezüglichen Beschwerden werden mit Mienen erwidert, die mir drohen, den Bogen nicht zu überspannen. Der Comandante allein bleibt auf dem Boot zurück, während seine Leute das Schwimmdings komplett auf Links drehen. Zum Glück wird die in zivil gekleidete junge Dame, die so wenig sagt, irgendwann ob des schaukeligen Ankerplatzes im Fluss seekrank, und ihre zuvor nur angenommene gehobene Stellung bestätigt sich, als man ihrer Bitte um Rückzug sogleich Folge leistet. Ich nehme an, sie gehört einer anderen Organisation an als dem Zoll, hat hier nicht wirklich etwas zu sagen, weil es sich um eine Zollangelegenheit handelt, verfügt aber über jede Menge Respekt. So jedenfalls würde ich die Geschichte schreiben. Als wir aus dem Inneren des Schwimmdings ins Cockpit zurückkehren, verlangt der Comandante von seinem Boot aus nach Erfolgsnachrichten, und als man ihm diese verwehrt, beschuldigt er seine Leute, nicht sorgfältig genug gesucht zu haben. Die Option, dass sich tatsächlich keine Drogen an Bord befinden, scheint ihm und seinem minimal bemittelten Geist nicht zugänglich.
Bis wir mit dem Proviantieren fertig sind, hat tatsächlich bereits die Dämmerung eingesetzt. Wir schaffen es, den Anker zu holen und aus dem Fluss zu navigieren, ohne auf Grund zu laufen, aber ein fader Beigeschmack bleibt nicht nur wegen der Delle, die die Blödmänner in mein Boot gefahren haben. An Land hat die Dom Rep sicherlich viel zu bieten – schöne Strände für den Pauschal- und tolle Landschaften für den Individualtouristen –, aber Cruisern möchte ich von einem Stopp hier abraten. Cuba wäre sicherlich die bessere Option gewesen.
Das Schwimmdings vor Samana.
In der Hängematte lässt es sich immer gut aushalten, wenn es schön ist.
In der Bahia de San Lorenzo gab es so viele Geier, dass man sich Sorgen machen musste, es gebe nicht genug zu mampfen für alle.
In der Bahia de San Lorenzo gibt es mehrere fantastische Höhlen zu erkunden.
Wo sonst bekommt man aus einer Höhle heraus den Blick auf einen von üppiger Vegetation überzogenen Felsen?
Praktisch: Wenn der Strand bis in die Höhle reicht, gibt es die Beschattung für den leicht geröteten Sonnenbadenden gratis.
Ziemlich schön in der Bahia de San Lorenzo.
Das Schwimmdinghy.
Die Stille in den Mangrovenflüssen der Bahia de San Lorenzo, unterbrochen nur durch Tierrufe, war nahezu gespenstisch.
Da habe ich auch den Außenborder Außenborder sein lassen und lieber gerudert, um die Stille nicht zu stören.
Links steile, wild überwucherte Klippen, rechts Mangroven. Da gab es reichlich fürs Auge.
Besonders interessant geformte Wurzeln.
Das Ecoresort Paraíso Caño Hondo erreicht man durch eine 20-minütige Fahrt durch einen Mangrovenfluss. Der Pool wird aus einem natürlichen Bach gespeist.
Das kleine Örtchen Mano Juan auf der Insel Saona ist tagsüber von Touristen überlaufen und abends wie ausgestorben.
Für meine Begriffe reicht es nicht für das Prädikat "Traumhaft". Türkises Wasser, weißer Sandstrand und Palmen sind vorhanden, aber wenn dahinter nichts kommt, fehlt meines Erachtens etwas.
Das Problem: Das Reffprofil hat sich auseinandergeschoben und das Segel beschädigt.
Die Reparatur: Ein doppelseitiger Flicken aus Dacron.
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