Der Pazifik ruft, und ich würde seinem Ruf auch liebend gerne folgen, aber irgendwie lässt man mich nicht. Ließ man ich nicht, denn inzwischen bin ich hier, aber einfach war das nicht.
Irgendwie werden wir dieses Mal keine wahren Freunde, Panama und ich, aber immerhin weiß ich, dass das mein Fehler ist und das gute Land nichts dafürkann. Warum verbringe ich meine Zeit auch hauptsächlich in den beiden dreckigsten Städten anstatt in der atemberaubenden Natur? Warum feiere ich den sterilen, nur zum Zwecke des Kommerzes etablierten Karneval in Panama City anstatt mir die Festivitäten mit jahrhundertealter Tradition in Chitré oder Las Tablas anzusehen? Warum ankere ich am beschissensten Ankerplatz der Welt, anstatt in die Marina zu gehen?
Die letzte Antwort ist klar: des schnöden Mammons wegen. Aber auch die übrigen Antworten sind nicht schwer: Panama ist mit dem Flugzeug einfach zu erreichen. Ich kann mir sein Landesinnere jederzeit ansehen. Jetzt aber geht es nur darum, so schnell wie möglich ins Paradies der Südsee zu gelangen, und zu diesem Zweck muss man nun mal durch Colon und Panama City durch. Colon ist eine der heruntergekommensten Städte, die ich je gesehen habe. Jedes Schiff, dass durch den Kanal will, muss hier durch, und die Gebühren sind nicht ohne. Große Frachter legen schnell man ein, zwei Milliönchen für eine schnelle Durchfahrt auf den Tresen. Geld muss also vorhanden sein, doch wie so oft in Entwicklungsländern ist die Verteilung nicht übermäßig gerecht.
Panama City ist nur marginal besser. Als ich in einem Geschäft eine halbe Stunde auf eine Bestellung warten muss, erkundige ich mich nach einem Laden für Angelausrüstung in der Nähe. Der Verkäufer verweist mich auf einen, der nur 500 Meter entfernt liegt, doch als ich zu Fuß aufbrechen möchte, hält er mich erschrocken zurück und sagt, ich müsse ein Taxi nehmen. In dieser Gegend hätte ich keine Chance, die paar Meter zu gehen, ohne überfallen zu werden. Während meiner Zeit in diesem Land werden hier in zwei verschiedenen Buchten vier vor Anker liegende Boote brutal ausgeraubt, und dennoch möchte ich davon ausgehen, dass es sich um kein prinzipielles pan-panamaisches Problem handelt: Es ist ein Problem der spezifischen Gegenden, in denen ich mich aufhalte.
Vielleicht stört mich auch einfach nur, dass hier alles so teuer ist. Wie können in einem Land, in dem die Kassiererin 2,50 Dollar die Stunde verdient und in dem man mit dem gleichen Chicken Bus wie in Guatemala oder Nicaragua zum Laden fährt, die Lebensmittel teurer sein als in Deutschland? Wenn das Personal so günstig ist, warum ist die Marina dann teurer als in Spanien, fast dreimal so teuer wie auf den Azoren? Allein die Durchfahrt des Kanals kostet mich 2.450 Dollar, also etwa 2.200 Euro, und dafür, überhaupt einreisen und rumsegeln zu dürfen, knüpft man mir 300 Euro ab. Pech hat Panama auch noch, weil das Schwimmdings gerade hier neue Batterien braucht, und die Kosten von 1.500 Euro in den Büchern auch irgendwie in Zusammenhang mit Panama auftauchen, obwohl das arme Land da natürlich absolut nichts dafürkann.
Und anfangs überwiegen auch noch die guten Aspekte, weil ich mir zwei Wochen Zeit nehme, die schönen Ankerplätze der San Blas Inseln zu erkunden. Miro, der seit der Dominikanischen Republik bei mir an Bord ist, bot vier Jahre lang auf seinem eigenen Boot Charterfahrten in dem Archipel an und ist dementsprechend gut mit ihm vertraut. Er kennt die besten Plätze und Geheimtipps in diesem Paradies aus winzigen Palmeninselchen und weitläufigen Korallenriffen. Einige der Inseln sind von Kuna Indianern bewohnt, die hier überaus einfach leben. Elektrizität gibt es höchstens vom Solarpanel, aber meistens eher gar nicht, und fließend Wasser sucht man ebenfalls vergebens. Manchmal kommen sie mit ihren Booten zu den ankernden Yachten, um Waren feilzubieten, und es fällt auf, dass die Dose Bier bei ihnen nach dem langen Transportweg über Land und See auch nicht teurer ist als im Supermarkt.
Die Probleme fangen an, als ich nach Colon segele, um mich auf die Kanaldurchfahrt vorzubereiten. Für diese muss das Boot zunächst inspiziert und vermessen werden, und der Termin für die Vermessung wird gleich zweimal verschoben, so dass ich noch zwei Tage länger auf den San Blas hätte bleiben können, wenn man mich nur vorher informiert hätte. Weil die Shelter Bay Marina in Colon laut Internet abstrus teuer ist, ankere ich außerhalb, wo ich aber dem ständigen Wind von 20-25 Knoten und einer beachtlichen Welle schutzlos ausgeliefert bin. Die Inspektion ist dann ein Witz. Der gute Herr Inspektor vermisst das Boot auf das Zoll genau, obwohl der Preis für alle Boote bis 60 Fuß Länge der gleiche ist, hat dann beim Ausfüllen der Papiere aber so eine Eile, dass er auf den Formularen geforderte Informationen, die ich nachschlagen müsste, einfach als nicht essentiell wegstreicht.
Normalerweise bekommt man nach der Inspektion ein Durchfahrtsdatum innerhalb von vier Tagen. Meins ist in sieben Tagen und wird ebenfalls einen Tag vor dem Termin um zwei Tage nach hinten verschoben, so dass ich am Ende elf Tage an diesem verheerend schaukeligen Ankerplatz festgesessen habe. Das größte Problem dabei ist, dass es nicht einmal viel zu tun gibt. Colon ist gute zwanzig Autominuten entfernt, aber ein Auto habe ich natürlich nicht. Den Shuttlebus der Marina darf ich nicht nehmen, nicht einmal für die zwölf Dollar, die man mir pro Tag berechnet, nur um mein Dinghy festzumachen. Einziger Lichtblick ist, dass direkt hinter der Marina der Dschungel mit allem Drum und Dran anfängt: Affen, Ameisenbären, Nasenbären, jeder Menge Vögel und sogar ein paar Bäumen. Die ganze Sache hat ein bisschen was von Indiana Jones, denn unter dem ganzen Grün findet man die Überreste amerikanischer Kasernen. Bis ins Jahr 1999 kontrollierten die Amerikaner den Kanal. Nach der Übergabe fielen auch die alten Militäranlagen den Panamaern zu, doch diese hatten offenbar wenig Verwendung dafür, weshalb sich jetzt eine Geisterstadt unter dem Dschungel verbirgt.
Zwei Tage vor meinem ursprünglichen Durchfahrtstermin – Miro ist inzwischen von Bord gegangen – hole ich meine neue Crew ab. Die Neuen sind ein franko-kanadisches Pärchen, Chantal und Francis, und eine Schottin namens Kate.
Die Kanaldurchfahrt, als sie denn endlich stattfindet, beginnt mit einem Desaster. Jedes Boot muss einen Lotsen an Bord haben. Dieser muss natürlich am Ankerplatz abgesetzt werden und der Blödmann von einem Kapitän, der das Taxiboot fährt, rammt das Schwimmdings so hart, dass er eine Relingsstütze verbiegt. Ich frage den Lotsen, ob ich Regressansprüche stellen könne, und er sagt, es sei meine Schuld gewesen. Wahrscheinlich hätte ich einfach von Anfang an vierzig Zentimeter weiter östlich ankern sollen. Obwohl der gute Mann als Lotse natürlich über ein Kapitänspatent verfügen muss, scheint ihm nie jemand erklärt zu haben, dass Boote vor Anker schwoien.
Der Kanal aber ist ein faszinierendes Erlebnis. Kurioserweise bewegt man sich dank der komischen S-Form Panamas von Westen nach Osten, wenn man vom Atlantik in den Pazifik fährt. Der Kanal führt quer durch den Gatún-See und liegt gute 25 Meter über dem Meeresspiegel, weshalb wir auf beiden Seiten durch Schleusen müssen. Um Wasser zu sparen, sind diese jeweils dreigeteilt. So kann das aus der oberste Schleusenkammer herausgelassene Wasser in der mittleren und schließlich in der untersten wiederverwendet werden. Trotzdem werden pro Schleusengang 200 Millionen Liter Frischwasser benötigt, was in Trockenzeiten, die durch den Klimawandel häufiger werden, zu Problemen führen kann.
Längsseits miteinander vertäut gehen jeweils drei Yachten als Päckchen gemeinsam in die Schleuse – zusammen mit einem Ozeanriesen, der die Schleusenkammer zumindest in seiner Breite zumeist voll ausnutzt, in der Regel sogar mit den Ausmaßen exakt dieser Schleusen im Hinterkopf konzeptioniert wurde. Panamax nennen sich diese Schiffe, die die Kapazität der alten Schleusen ausreizen. Seit der Inbetriebnahme der neuen Schleusen gibt es sogar eine neue Kategorie: Neo-Panamax. Unmittelbar unter dem mächtigen Bug oder Heck eines solchen Schiffs zu liegen ist ehrfurchterregend. Liegt man vor dem Schiff, wenn es in die Schleuse einfährt, spürt man die Strömung, die es verursacht, wenn es das Wasser vor sich herschiebt. Liegt man dahinter, entstehen gewaltige Turbulenzen im Wasser, wenn es zur Ausfahrt seine gigantische Schraube in Gang setzt.
Ich hasse den Welthandel und die damit verbundenen Konsequenzen für das Klima und die Ozeane, hasse den ewigen Konsum, die Sucht nach Gütern, denke, wir sollten mehr lokal produzieren und uns in Verzicht üben, wenn etwas lokal nicht verfügbar ist, sollten alte Klamotten flicken, anstatt Modetrends folgend immer Neues zu kaufen, aber mein Hass auf den Konsum ändert nichts an meiner Faszination für seine infamen Instrumente zur hohen See.
Panama City ist vom Ankerplatz aus zwar leicht mit dem Bus erreichbar, aber viel Zeit zum Sight Seeing bleibt uns nicht. Außer dem historischen Viertel Casco Viejo sehen wir nicht viel, denn die Marquesas rufen. Noch einmal wird alle Wäsche gewaschen, ich versuche, noch ein paar letzte Ersatzteile zu ergattern. Zweimal gehen wir proviantieren, einmal in einem enormen Metro-ähnlichen Laden und einmal in einem normalen Supermarkt. Sechs Einkaufswagen laden wir voll mit Haltbarem und Frischem, und ich kann nicht leugnen, dass auch die eine oder andere Flasche Rum ihren Weg aufs Schwimmdings findet. Am Morgen des 19.2. dann holen wir Anker und fahren zur Bunkerpier der Marina, wo wir noch einmal alles volltanken: Diesel, Benzin, alle Reservekanister. Um zwölf Uhr mittags dann schmeißen wir die Leinen los. Vor uns liegt mit über 4.000 Seemeilen die längste Etappe der gesamten Weltumsegelung.
Die San Blas Inseln: ein Traum aus Palmen, Korallen und weißem Sand.
Teilweise sind die Inseln winzig, was sie nur um so attraktiver macht.
Wer türkises Wasser und Korallenriffe mag, wird sich auf den San Blas Inseln wohlfühlen.
Die Kuna leben überaus einfach auf den Inseln und hauptsächlich von dem, was ihnen das Meer gibt.
Warum genau ein afrikanischer Affe auf den San Blas lebt, konnte mir keiner erklären, aber er mochte meine Wasserflasche. Er fühlte sich auch auf meinem Arm recht wohl, aber bei den zwanzig Fotos, die Miro davon machte, vergaß er leider jedes Mal, den Auslöser zu drücken.
Ein winziges unbewohntes Inselchen unmittelbar nördlich von Chichime.
Sonnenuntergänge sind überall schön, aber in den San Blas noch ein bisschen schöner.
Die Ruinen des Fuerte Santiago in der Bucht von Portobello, wo zufällig, im Hintergrund zu erkennen, der Tradisegler Gulden Leeuw vor Anker liegt.
Irgendwo zwischen Lara Croft und Indiana Jones: die völlig vom Dschungel überzogenen alten amerikanischen Kasernen.
Im Päckchen mit zwei weiteren Yachten und hinter einem riesigen Autotransporter in der ersten Schleuse des Panamakanals.
Während wir durch die erste Schleuse gehen, wartet bereits der nächste Kunde, ein großes Kreuzfahrtschiff.
Auf der Pazifikseite liegen wir in der Schleuse vor einem großen Containerschiff.
Die Canalcrew: Lotse Jaime, Line Handler Marc, Chantal, ich, Francis und Kate.
Ein kleiner Teil des Proviants im Cockpit. Das alles und in etwa noch fünfmal soviel muss verstaut werden.
Panama Citys Skyline bei Nacht.
Zum Wäschewaschen bringen wir sicherheitshalber Bier mit, weil es sonst langweilig werden könnte. Francis und Kate gefällt es.
Der Karneval in Panama City ist nicht schlecht, aber als Kölner erkenne ich doch eine gewisse Sterilität. Alte Tradition vermisst man hier.
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