Es ist bereits unser sechster Tag auf See seit Panama, und wir haben noch immer keinen einzigen Fisch gefangen. Teilweise sah der Ozean auch nicht besonders gesund aus. Das Wasser war grün von Algen, am dritten Tag durchquerten wir sogar eine riesige Red Tide, eine Fläche von roten Algen von immenser Größe. Der erste Bereich war gute zehn Seemeilen lang. Wenn er rund war und wir ihn zufällig an seiner breitesten Stelle durchquert haben – zwei eher konservative Annahmen –, hätte er eine Fläche von 270 Quadratkilometern gehabt. Anderthalb Stunden später durchfuhren wir eine zweite Stelle, auf der das Meer auf knapp fünf Seemeilen tiefrot war. Die roten Alten gehören zur Familie der Dinoflagellate und sind hochgiftig. Zu dem Zeitpunkt war ich noch froh, keinen Fisch gefangen zu haben, aber als das Wasser dann blau wurde, wuchs langsam die Enttäuschung.
Ich habe keine Angelrute, sondern nur zwei Handleinen, die ich hinter mir herziehe. Weil es in dieser Konfiguration keine Spule gibt, von der der Fisch Angelschnur abwickeln kann, muss die Angelleine sowohl weitaus stärker als auch stoßgedämpft sein. Ich benutze Fahrradschläuche oder normale Spanngummis als Stoßdämpfer, die Leine hat eine Bruchlast von 150 kg. Zum Vergleich: Auf einer Spule würde man je nach individueller Präferenz vielleicht 20 kg verwenden. Am Ende dieser Leinen befinden sich ein Vorfach aus Edelstahldraht, das selbst die schärfsten Fischzähne nicht durchbeißen können, ein Plastiktintenfisch als Köder und ein Haken. Normalerweise reichen Handleinen völlig aus, um pelagische Räuber wie Thun, Mahimahi oder Wahoo zu fangen, aber leider fehlt uns das Glück. Vielleicht ist dieser Teil des Ozeans auch einfach überfischt, denn andere Boote, mit denen ich über Satellit in Verbindung stehe, fangen ebenfalls nichts.
Unser Glück ändert sich am sechsten Tag auf See schlagartig. Es ist bereits später Nachmittag, und ich habe die Hoffnung fast schon aufgegeben, als die Backbord-Leine plötzlich mit einem großen Knall unter Zug kommt. Katie und ich sind an Deck, und ich erkenne auf den ersten Blick, dass dies der größte Fisch ist, den ich je am Haken hatte, denn die als Stoßdämpfer eingebauten Gummibänder sind bis aufs Äußerste gespannt. Obwohl ich sofort anfange, die Leine einzuholen, reißt einer der Fahrradschläuche unter dem enormen Zug. Dann kommt der Fisch, wütend um sich schlagend, an die Oberfläche, und ich erkenne die markante dreieckige Rückenflosse eines Hais. Noch nie zuvor habe ich einen solchen gefangen.
Francis und Chantale sind innerhalb weniger Augenblicke an Deck. Francis hilft mir, gegen die immensen Kräfte des Hais zu kämpfen, während Chantale das Ganze auf Video bannt. Der Hai wehrt sich mit enormer Gewalt. Ihn bis zum Heck heranzuziehen ist gerade noch machbar, doch ihn an Deck zu bringen stellt sich als Ding der Unmöglichkeit heraus. Bei jedem Versuch fängt er sogleich so wild an, um sich zu schlagen, dass wir ihn nicht halten können. Die einzige Möglichkeit scheint, ihm noch im Wasser ordentlich einen auf die Rübe zu geben, um ihn seines Kampfeswillens zu berauben.
Ich hole den dicken Fäustling aus dem Werkzeugkasten, und ziehe sicherheitshalber meinen Klettergurt an, um mich am Boot zu sichern. Der Fisch wirkt irgendwie leicht verärgert, und gerade jetzt ins Wasser zu fallen, wäre unter Umständen wenig ideal. Ich trage meiner Crew auf, den Hai ganz nah ans Heck zu ziehen, und schlage ihm mit vollem Schwung auf die Murmel. Es beeindruckt ihn wenig. Haie sind Knorpelfische. Es gibt keine Schädelplatte, die man einfach zertrümmern könnte. Der Knorpel ist weicher, federt den Schlag ab und lässt den Hammer zurückprallen. Bestimmt zehnmal wemse ich auf ihn ein, bevor ich das Gefühl habe, die Anstrengungen des Tiers würden sich etwas verlangsamen. Ich versuche, ihm ein Messer ins Hirn zu rammen, scheitere aber erneut an der Knorpelplatte. Dabei erkenne ich allerdings, dass der Haken langsam auszureißen droht, und so gehen wir zum Alles-oder-nichts über. Mit vereinten Kräften hieven wir das Tier ins Cockpit, wobei mir die scharfen, verzwirbelten Enden des Edelstahl-Vorfachs mehrfach in die Hand schneiden.
An Bord verleiht der Hai sogleich durch wildes Schlagen mit der Schwanzflosse seiner Empörung Ausdruck. Die Schläge sind so gewaltig, das auditive Feedback so enorm, dass ich mir Sorgen um mein Boot zu machen beginne. Erneut versuche ich, das Messer in sein Hirn zu rammen, indem ich es mit dem Hammer hineinschlage, verfehle aber offenbar mein Ziel und habe nun das Problem, dass das Messer in der Knorpelplatte feststeckt und sich nur mit äußerster Mühe wieder entfernen lässt, und so gebe ich den Plan mit dem Hirn auf. Die einzige Alternative ist, ihm die Kehle aufzuschneiden. Vorsichtig darauf bedacht, meine Hände von seinem Maul fernzuhalten, drehe ich ihn in einem Gewaltakt auf den Rücken und gehe mit schnellen Bewegungen zu Werke.
Die folgende Szene hat fast etwas von Slapstick. Uns bleibt nichts übrig, als zu warten, bis er verblutet. Der Hai allerdings hat leider keine Lust, einfach tatenlos mit uns zu warten. Ich bin mir sicher, dass er angesichts des Blutverlusts nicht mehr Herr seiner Sinne sein kann, doch Instinkt und Reflexe lassen ihn nach wie vor gelegentlich mit der Schwanzflosse schlagen, wodurch er jedes Mal ein kleines Stück vorwärts robbt, von Backbord um den Cockpit-Tisch herum und an Steuerbord wieder nach achtern, während wir uns ständig vor ihm in Sicherheit bringen, uns von ihm vor sich herschieben lassen. Francis hält nach wie vor die Leine, doch die Schläge des Tiers sind zu mächtig.
Nach wenigen Minuten aber gehen dem Hai die Kräfte aus. Wir vermessen ihn mit 1,96 Metern – wiegen wäre schwierig. Immer wieder beteuere ich dem sterbenden Tier, es zu respektieren und sein Opfer nicht als selbstverständlich anzusehen. Dennoch kann ich es mir nicht verkneifen, ein paar Fotos von und mit dem riesigen Räuber zu machen. Ich werde allerdings darauf verzichten, sein Gebiss als Trophäe zu behalten. Solange wir Tiere essen, müssen diese dafür sterben. So ist die Natur. Aber wenn wir aufhören, unser Essen zu respektieren, werden wir verschwenderisch, und wenn wir für Trophäen töten, werden wir zu Don Junior.
Dann geht es ans Filettieren, das bis ein Uhr am Morgen dauert. Am Ende springen achtzig großzügige Portionen dabei heraus, also zwanzig volle Mahlzeiten für uns vier.
Laut meiner bucket list hatte ich immer mal einen Hai und immer mal einen wirklich großen Fisch fangen wollen. Beides ist mit einem Fang abgehakt. Ab jetzt gebe ich mich gerne wieder mit kleineren Fischen zufrieden, und Thun oder Wahoo habe ich noch selten von der Tellerkante geschubst.
Das Cockpit sieht aus wie nach einem Massaker.
Seidenhaie sind furchterregende Jäger, die sogar Thunfische töten. Die Zähne sind rasiermesserscharf.
Eine Trophäe habe ich dem Tier aus Respekt nicht abgenommen, aber ein Erinnerungsfoto musste sein.
Francis und ich halten den zwei-Meter Seidenhai fürs Foto.
Als wir mit dem Filettieren fertig sind, ist es spät in der Nacht und vom Hai nicht viel übrig. Chantale präsentiert das Messer.
Achtzig großzügige Portionen wandern in den Gefrierschrank.
Einen Teil der Ausrüstung wie den Haken und den Planer hat das Tier mit seiner Kraft recht ordentlich verbogen.
Mit diesem einfachen Gummiköder habe ich den Hai gefangen.
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