Die Ankunft auf Hiva Oa nach 37 Tagen auf See vermittelt ein Gefühl, wie es sich nur schwer beschreiben lässt. Euphorie mischt sich mit Erleichterung und Stolz und dem auffälligen Fehlen von Wehmut, denn zurück zur See sehnt sich zunächst einmal niemand. Dazu kommt eine nahezu überwältigende Flut von Sinneseindrücken, weil wir den Geruch von Pflanzen und Erde nahezu vergessen haben. Auch das Grün eines Waldes ist uns nur noch vage in Erinnerung, und bei der Betrachtung fahrender Autos fragt man sich, wie Fortbewegung ohne Schaukeln möglich sein soll. Auch andere Gesichter, andere Boote, Menschen, Stimmen außer denen von uns vieren sind Dinge, die wir in den letzten 37 Tagen nahezu gänzlich vermisst haben.
Obwohl wir beim ersten Licht des Tages am 28.3.2023 in die Tahauku Bucht vor Atu’ona einfahren und um 6:30 bereits der Anker fest ist, begießen wir die Sache augenblicklich mit einer Runde Rum. Kevin von der Ketch Meraki II kommt mich begrüßen. Auch er und seine Frau Shawna sind soeben erst angekommen. Seit ich die Meraki II irgendwann mitten auf dem Pazifik zwischen Panama und hier auf dem AIS (Automatisches Identifikationssystem für Schiffe) erkannte und anfunkte, standen wir über Satellitennachrichten im regelmäßigen Austausch darüber, wo wohl der beste Wind zu finden sei. Nun sehen wir uns das erste Mal. Er sagt, er und Shawna hätten sich die Zeit damit vertrieben, sich auszumalen, wie ich wohl aussähe, aber auf Tattoos und Dreadlocks hätte niemand getippt. Wir lachen.
Sobald das Dinghy im Wasser ist, fahre ich zu meinen südafrikanischen Freunden Jacquie und Gerard, die ich aus Panama kenne und die am Vortag angekommen sind. Dann hole ich meine Crew ab, die inzwischen eine weitere Runde Rum und ein wenig Bier verkonsumiert hat, und bringe sie an Land. In dem Moment, in dem Kate festen Boden unter ihren Füßen spürt, sackt sie zusammen, legt sich flach auf den Bauch und streckt die Arme weit aus, um die Erde zu umarmen. Von der Bucht bis zum Hauptort Atu’ona, wo wir einklarieren müssen, ist es ein Fußmarsch von über einer halben Stunde. Kate und Chantale spüren den sogenannten dock rock, eine Art wahrgenommenes Schaukeln auf festem Boden, als sei man nach wie vor auf See. Überall finden wir Mangos an Bäumen oder auf dem Boden, während wir mit Jackie und Gerard die Geschichten der Überfahrt austauschen. Am Abend trinken wir mehr Bier und Rum, umarmen uns, lachen, feiern unsere Ankunft, aber auch unseren Abschied voneinander, denn nach dieser langen Passage brauchen wir alle etwas Abstand voneinander. Schließlich war das nervig langsame Vorankommen nicht die einzige Unwägbarkeit, mit der wir zu kämpfen hatten.
Viermal riss während der Überfahrt das Spinnaker-Fall, eine recht neue Leine mit Dyneema-Kern, der stärksten Faser dieses Planeten. Siebenmal musste ich zu Reparaturarbeiten den Mast bis zur Spitze erklimmen, was in der pazifischen Dünung nicht wirklich Spaß bereitet. Der Mast des Schwimmdings verfügt über keine Stufen. Wenn das Boot völlig ruhig liegt, kann ich mich an einem Seil hinaufziehen. Im Wellengang der offenen See aber brauche ich meine Hände, um mich festzuhalten und muss mich dementsprechend hochziehen lassen. An so einem Seil hängt man sich quasi an eine riesige Schaukel, wobei die Schläge, wenn das Boot auf eine Welle trifft, den eifrigen Kletterer mit Arglist aus dem Rigg zu schütteln sinnen. Man bedenke, dass es sich bei einem Mast um einen riesigen Hebel handelt. Bewegt sich seine Basis ein wenig hin und her, wenn das Boot schaukelt, so pendelt seine Spitze schnell mal fünf Meter oder mehr von einer Seite auf die andere, und weil sie dafür keine Sekunde mehr Zeit hat als die Basis, tut sie dies mit einer gewissen Hektik und ruckartigen Richtungswechseln. Bei einem meiner Ausflüge in die Höhe verlor ich auf halbem Weg beim Umgreifen kurz den Halt und schwang sofort im großen Bogen um den Mast herum ins leewärtige Want, wo nicht nur der Aufprall für Unwohlsein sorgte, sondern auch die Frage, wie von dort wieder nach Luv zu gelangen sei, ohne weitere Schäden an meiner Konstitution zu verursachen.
Zu weiterem Unmut trug bei, dass wir die letzten fünf Tage ohne Propan auskommen mussten. Wie ich heute dann feststellte, war meine kupferne Gasleitung, die die im Cockpit gelagerte Flasche mit dem Herd verbindet, durchkorrodiert. So waren die letzten Tage auf See keine kulinarische Offenbarung, führten aber vermittels experimenteller Methodik zu einer interessanten Erkenntnis: Rote Bohnen sind ungekocht giftig. Ich hatte das schon mal gehört, aber immer angenommen, es handele sich um ein mildes Toxin, das lediglich bei regelmäßiger Einnahme ein leichtes Unwohlsein hervorrufen kann. Dass bereits nach einmaligem Verzehr von gut eingeweichten, aber eben rohen roten Bohnen die gesamte Crew unter Vergiftungserscheinungen mit jeder dem Körper bekannten Art, sich der Giftstoffe schnellstmöglich zu entledigen, leiden würde, hätte ich allerdings nicht erwartet. Insgesamt trug die Ernährung der letzten Tage sicherlich dazu bei, dass wir die Ankunft noch mehr herbeisehnten als ohnehin schon.
Erst nachdem meine Crew, mit der ich zwar sehr viel gelacht habe, über die ich mich aber leider auch häufig ärgern musste, von Bord ist, merke ich, wie sehr ich mich in meinem eigenen Zuhause eingeengt gefühlt habe und wie glücklich ich bin, mein Boot wieder für mich zu haben. Chantale und ich haben, obwohl es keine wirklichen Auseinandersetzungen gab, nie so ganz auf einer Wellenlänge gefunkt. Mit Francis war, obwohl ich ihn sehr mag, ob seines löchrigen Englischs die Kommunikation bisweilen ein wenig holprig, und Kates Schludrigkeit hat genervt. Trotzdem werden die nervenzehrend regelmäßigen Windlöcher, das gemeinsam Erreichte und der viele Spaß, den wir gemeinsam hatten, uns ewig verbinden. Kate wird bald schon nach Hause fliegen, aber Francis und Chantale wollen sich nach einem anderen Boot umsehen, um die Pazifiküberquerung fortzusetzen. Ich bin mir sicher, sie noch häufig wiederzusehen und freue mich darauf. Mehr Menschen bezwingen Jahr für Jahr zu Fuß den Mount Everest als mit dem Segelboot den Pazifik. Eine Ozeanüberquerung von 4.200 Seemeilen in den Passatwinden ist nichts im Vergleich zu dem, was Boris Hermann und Konsorten durchmachen, doch es ist auch nicht nichts. Gemeinsam haben wir Großes erreicht.
Hier eine kleine Statistik der Etappe:
Tage auf See: 37
Zurückgelegte Distanz: 4.197 Seemeilen (7.773 Kilometer)
Motorstunden: 32,4 (Ich habe hier noch niemanden getroffen, der mit weniger als 80 Motorstunden ausgekommen ist. Ungeduld ist eine Untugend!)
Durchschnittsgeschwindigkeit: 4,73 Knoten (8,76 km/h)
Gefangene Fische: 1 (Nur der eine Hai. In 37 Tagen! Welch Elend! Allerdings hat er uns viele gute Mahlzeiten beschert und andere Boote haben auch nicht mehr gefangen.)
Auseinandersetzung mit Piraten: 1
Gennaker-Fall gerissen: 4 mal
Trips zur Mastspitze für Reparaturarbeiten: 7
Tage ohne Propan: 5
In den ersten 24 Stunden nach Ankunft verkonsumierte alkoholische Getränke: ungezählt
Die Tahauku Bucht in Hiva Oa. Aufgrund einer langen Dürre ist die Insel nicht so grün, wie ich sie in Erinnerung habe, aber der Geruch der Vegetation ist dennoch überwältigend
Ich, Chantale, Francis und Kate. Eins kann man uns nicht nehmen: Gelacht haben wir sehr viel.
Wenn am Boot was kaputtgeht, geht manchmal auch am Käpt'n was kaputt. In diesem Fall war der Ringbolzen, der die Gennaker-Rollrefftrommel hält, gerissen, so dass letztere recht unkontrolliert rumdengelte.
Siebenmal musste ich zu Reparaturarbeiten den Mast hinauf. Zumeist ging es bis zur Mastspitze. Hier installiere ich aber eine Führung für das Spinnakerfall an der oberen Spreize.
Auf den Marquesas findet man noch viele polynesische Kultstätten aus der Zeit, bevor Europäer die Einwohner mit Waffengewalt missionierten und dezimierten.
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