12.05.2023: Überfahrt Fakarava – Tahiti: Sturm

Ich bin gut in Rangiroa angekommen. Das einzige kleine Problem an der Sache ist: Ich wollte eigentlich nach Tahiti. Leider hatte das Wetter etwas dagegen.

 

Schon ein paar Tage vor meinem Aufbruch von Fakarava nach Tahiti habe ich irgendwie ein etwas ungutes Gefühl. Südlich von uns befindet sich ein riesiges Hochdruckgebiet, an dessen Rändern starke Winde bis zu Sturmstärke wüten. Unter Einfluss dieses Systems haben wir seit Tagen kaum einen Hauch von einer Brise gespürt, und in wenigen Tagen soll auch wieder Flaute kommen. Nur am Mittwoch und Donnerstag sollen sich die Winde am Rand des Hochs so weit nach Norden schieben, dass man damit etwas anfangen kann. Die beiden großen weltweiten Vorhersagemodelle sind sich einig, dass wir keinen Starkwind abbekommen werden, höchstens vielleicht fünf bis sechs Windstärken, die dazu noch von achtern kommen sollen, so dass ich sie, sollte es doch mal ein wenig rauer werden, im Rücken habe. Durch meine eigene Geschwindigkeit verringere ich so den scheinbaren Wind, also den Wind, den ich und natürlich auch das Schwimmdings spüren. Zusätzlich fahre ich mit den Wellen, was ebenfalls weitaus angenehmer ist, als gegen sie anzukämpfen. Es sollte also eigentlich keine Probleme geben, und der Sturm wird mir laut Vorhersage nie näher kommen als sechshundert Seemeilen.

 

Und trotzdem ist da dieses mulmige Gefühl, auf das zu hören ich aber ein viel zu pragmatisch denkender Mensch bin. Meine Freunde Del und Ryan versuchen seit Tagen aus ganz anderen Gründen, mich von dem Plan abzubringen. Sie wollen, dass ich mit ihnen nach Rangiroa fahre, wo das Tauchen einzigartig sein soll, vielleicht sogar noch besser als in Fakarava, denn es soll zusätzlich zu Unmengen an Riffhaien auch Hammer- und Tigerhaie geben, dazu Mantarochen und Delfine. Aber ich will weiter nach Tahiti, mache mir langsam Sorgen, dass ich vor Beginn der Zyklonsaison im November nicht genug Zeit für den Westpazifik haben werde.

 

Als Ryan am Tag vor meinem Ablegen mal wieder versucht, mir Rangiroa schmackhaft zu machen, sage ich sogar noch, es sei wahrscheinlich nicht besonders schlau trotz des Sturms im Süden nach Tahiti zu fahren. Wenn man von einem Sturm weiß, geht man ihm am besten weiträumig aus dem Weg, auch wenn die Vorhersagen sich einig sind, dass es auf meiner Route kaum mehr als gerade genug Wind geben wird. Es ist wie eine präventive Selbstverteidigung meiner Intelligenz. Sollte ich in einen Sturm geraten, so kann ich später zumindest sagen, mir dieser Gefahr bewusst gewesen zu sein, muss mich nicht naiv schimpfen lassen. Dumm vielleicht, aber naiv bitte nicht.

 

Der Wind soll am Mittwochnachmittag kommen, so dass ich am Morgen keine Eile habe. Ich gehe noch ins Dorf, um meine bestellten Baguettes einzusammeln, dann hole ich Anker. Aus der Lagune raus beabsichtige ich ohnehin, unter Maschine zu fahren. Durch die frühe Abreise werde ich draußen und bereit sein, wenn die Brise kommt. Sie lässt lange auf sich warten, und mir kommt das Sprichwort von der Ruhe vor dem Sturm in den Sinn. Erneut beschleicht mich dieses ungute Gefühl. Andere Boote fahren nach Toau, das nächste Atoll nördlich von Fakarava, und ich überlege ernsthaft, einfach ebenfalls dort zu ankern. Das eine Problem ist, dass nach diesem Windfenster erstmal wieder Flaute kommen soll. Das andere ist, dass ich sehr stur bin. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, ist es nicht einfach, mich davon abzubringen – nicht einmal für mich selbst –, und eigentlich müsste ja alles gutgehen. Wofür hat man schließlich all die tollen Wettervorhersagen?

 

Ab sechzehn Uhr kommt hier und da eine leichte Böe auf, wie um mich zu necken, denn sie hält nie länger als ein paar Minuten an. Ich fange bereits an, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es drei anstatt zwei Tage bis Tahiti dauern könnte, doch gegen achtzehn Uhr kommt dann endlich wirklich guter Wind auf, und ich bewege mich geschmeidig durch das Wasser. Ich setze nur das Vorsegel. Erstens gehe ich davon aus, den Wind später größtenteils hinter mir zu haben. Bei dem Winkel würde das Großsegel dem Vorsegel den Wind nehmen. Und zweitens ist es sicherer. Ich bin einhändig unterwegs, und sollte Starkwind aufkommen, werde ich nicht alleine das Groß reffen müssen. Beim Vorsegel, der Genua, ist es weitaus einfacher, die Segelfläche zu verringern. Aber auch mit nur dem einen Segel mache ich locker sieben Knoten, bin ich schneller, als ich es sein möchte, weil ich bei diesem Schnitt nachts ankommen würde.

 

Mit Einbruch der Dunkelheit sehe ich in der Ferne Wetterleuchten. Ein Blitzeinschlag auf See wäre fürchterlich. Er würde mit ziemlicher Sicherheit die gesamte Bordelektronik zerstören. Ich hätte keinen Autopiloten und keine elektronischen Seekarten mehr, müsste alleine von Hand steuern, zum Schlafen beidrehen, das Boot also stoppen, und auch Funk hätte ich nicht mehr, um mit anderen Booten Kontakt aufzunehmen. Dummerweise ist das Wetterleuchten auf breiter Front vor mir, was ein Ausweichen fast unmöglich macht, wenn ich nicht komplett umdrehen möchte.

 

Nach dem Abendessen reffe ich dann die Genua, verringere ihre Segelfläche, um nachts nicht auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Ich gehe gleich ins dritte Reff, obwohl ich nicht mit starkem Wind rechne. Aber natürlich muss ich auch als Einhand-Segler schlafen, und in dem Fall ist es sicherer, ein bisschen zu tief zu reffen. Der Autopilot steuert das Boot, während verschiedene Alarme mich wecken sollen, zum Beispiel, wenn der Wind zu stark wird, und tatsächlich dauert es nicht lange, bis die ersten Starkwindzellen mit heftigem Regen über mich ziehen. Die See wird aggressiver, schaukelt das Schwimmdings ordentlich herum. Ich trage nur meine Regenjacke über meiner Schwimmshorts, die natürlich sofort völlig durchnässt ist. Mit dem Regen wird es auch kälter. Die Wassertemperatur beträgt nach wie vor knapp dreißig Grad, aber Wind und Nässe setzen mir zu. Ich ziehe die nasse Badehose aus und meine Regenhose an. Zudem lege ich jetzt auch meine Schwimmweste an, mit der ich mich am Boot sichern kann. Ich habe flache Gewebebänder im Cockpit installiert, in die ich mich mit Karabinern einhaken kann. Auf diese Weise habe ich auch im gesicherten Zustand noch eine ziemlich gute Bewegungsfreiheit.

 

Als der Regen aufhört, kontrolliere ich die Alarmsysteme, die mich warnen sollen, wenn der Wind zu stark wird, wenn der Autopilot ausfällt oder wenn ein anderes Schiff mir zu nahekommt. Dann lege ich mich in voller Montur im Salon auf den Boden, um ein wenig Schlaf zu kriegen. Bei Regen möchte ich nicht schlafen, weil ich Sorge habe, der Lärm könnte einen möglichen Alarm übertönen. Zudem bringt eine Regenzelle häufig Starkwind mit sich, so dass ich dann stets am Steuerstand stehen bleibe. Ich stelle mir einen Timer auf dreißig Minuten, und als dieser sich meldet, bin ich nicht einmal eingeschlafen. Ich gehe ins Cockpit, überprüfe die Wetterverhältnisse, die Windgeschwindigkeit, das Segel. Alles ist gut, und ich lege mich wieder hin. Viermal liege ich jeweils für eine halbe Stunde, kriege insgesamt weniger als eine Stunde Schlaf, bevor Regen mich erneut zwingt, am Steuerstand zu bleiben.

 

Das Wetterleuchten ist nun weitaus näher, heller, teilweise kann man sogar Blitze zwischen den Wolken erkennen. Ansonsten ist die Nacht pechschwarz. Ich bin mir nicht sicher, ob der Mond schon aufgegangen ist, würde bei den dichten Wolken aber ohnehin nichts von ihm mitbekommen. Auch der Wind hat zugenommen. Die Böen erreichen jetzt dreißig Knoten. Der Autopilot steuert so, dass er immer den gleichen Winkel zum Wind beibehält. Auf diese Weise kann ein plötzlich drehender Wind nicht gefährlich werden. Im Moment kommt der Wind leicht von hinten, fünfundzwanzig Grad achtern von querab. Das heißt, dass meine Fahrtgeschwindigkeit die des Winds ein wenig relativiert. Da ich leicht vom Wind wegfahre, weiß ich, dass er in Wirklichkeit stärker ist als das, was mein Anemometer mir anzeigt, was für mich zwar keinen Unterschied macht, für die See aber schon. Über dreißig Knoten Wind treiben nun die Wellen vor sich her, bringen einzelne von ihnen dazu, zu brechen, was ich hauptsächlich höre, aber gelegentlich auch spüre, wenn eine über das Boot bricht.

 

Plötzlich bemerke ich, dass mein Dinghy, das an Davitsarmen über meinem Heck hängt, bedenklich hin und her schwingt. Gerade vor wenigen Tagen hat sich ein Tragegriff gelöst, den ich stets benutzt hatte, um das Dinghy festzubinden. Leider gibt es keine weiteren guten Anschlagpunkte und der, den ich benutzt habe, hat es dem Dinghy erlaubt, sich frei zu schaukeln. Die See wirbelt das Schwimmdings nach Belieben herum, ich muss mich recken, um überhaupt an das Dinghy zu kommen, kann mich nicht festhalten, weil ich beide Hände brauche, um es besser zu sichern. Ich hole einen neuen Tampen aus der Backskiste, den ich am Heck des Dinghys um seinen gesamten Schlauch wickele, um es zu stabilisieren. Dann ziehe ich erneut das Lasching fest, mit dem es zuvor bereits gesichert war.

 

Als ich mich wieder auf meine Umgebung konzentrieren kann, haben sowohl der Wind als auch die Häufigkeit der Blitze zugenommen. Erstmals höre ich Donner, der mir sagt, dass es kein Wetterleuchten in der Ferne mehr ist. Ich bin mitten in einem Gewitter. Ich renne unter Deck, um mein Satellitenmodem auszuschalten und in den Backofen zu stecken. Dieser, so hat man mir erzählt, ist ein Faraday’scher Käfig und könnte es unter Umständen vor dem elektromagnetischen Feld, das ein Blitzeinschlag verursachen würde, schützen. Ich hoffe, es handelt sich dabei nicht um Seemannsgarn, denn im Fall eines kompletten Ausfalls der Bordelektronik wäre das Satellitenmodem mein wichtigstes Kommunikationsmittel.

 

Am Steuerstand hat sich wenig verändert. Der ständige Wind bleibt bei über fünfundzwanzig Knoten, die Böen reichen bis zweiunddreißig. Mit dem dritten Reff ist die Segelfläche immer noch nicht zu groß, und solange ich nicht vom Blitz getroffen werde, ist eigentlich alles gut. Irgendwann werde ich durch die Gewitterzelle durch sein, und dann wird sich auch der Wind wieder beruhigen. Da ich jetzt mittendrin bin, gehe ich nicht davon aus, dass der Wind noch einmal zunehmen wird. Die Blitze sind direkt über mir, unmittelbar um mich herum, ständig grollt der Donner. Ich muss im Herzen der Zelle sein, sein Epizentrum erreicht haben.

 

Ich weiß nicht, ob es naiv war, das anzunehmen – in jedem Fall aber war es falsch. Ich bin nicht in einer kleinen Zelle, sondern in einem riesigen Sturm. Plötzlich ist der Wind bei fünfunddreißig Knoten, einzelne Böen erreichen vierzig. Sofort falle ich ab, was bedeutet, dass ich den Windwinkel ändere, weiter vom Wind wegfahre. Das Schwimmdings ist Massenware, eine Fließbandyacht, und ich kenne seine Grenzen. Letztes Jahr im Mittelmeer bin ich bei gut vierzig Knoten und Halbwindkurs gekentert. Das möchte ich hier draußen nicht riskieren. Mit wenigen Handgriffen ist der Autopilot neu programmiert, steuert das Boot nun nahezu direkt vom Wind weg. Auf diese Weise verringere ich den scheinbaren Wind und verbessere den Winkel zu den Wellen, die mich nicht mehr auf der Seite treffen, sondern von hinten schieben. Ich halte lediglich einen Winkel von zwanzig Grad nach Backbord, um das Segel zu schützen. Die See schleudert das Boot nach Belieben herum. Häufig wird man um einige Grad versetzt, bevor der Autopilot gegensteuern kann. Wenn ich wirklich schnurgerade vom Wind wegfahren und eine Welle mich leicht nach Steuerbord drehen würde, käme der Wind auf einmal von der falschen Seite ins Segel, was bei dieser Windstärke fürchterliche Konsequenzen haben könnte.

 

Durch das Abfallen, das Wegdrehen vom Wind, müsste der scheinbare Wind schwächer werden, weil ich immerhin mit bis zu zehneinhalb Knoten vor ihm wegfahre, doch er nimmt nur weiter zu. Plötzlich sehe ich Böen von fünfundvierzig Knoten, was bei meiner Geschwindigkeit bedeutet, dass der wahre Wind mit solide über fünfzig Knoten, sogar bis fünfundfünfzig wütet. Es ist mit Abstand der schwerste Sturm, den das Schwimmdings je gesehen hat. Jetzt bin ich im dritten Reff völlig überpowert. Hastig mache ich mich daran zu reffen, als eine Welle mich hart nach Backbord dreht. Das Segel ist nicht für den dadurch veränderten Winkel zum Wind getrimmt und fängt heftig an zu schlagen. Selbst der konstante Winddruck bei fünfzig Knoten Windgeschwindigkeit wäre zu viel für diese Segelfläche, aber schlagend übt das Segel nun eine dynamische Last auf die Ankerpunkte des Stags aus. Während ich verzweifelt um Gleichgewicht kämpfend daran arbeite, an der Winde zu kurbeln, die das Segel aufrollt, bin ich mir sicher, dass ich mein Rigg verlieren werde, dass der Mast fallen wird. Die Last auf die Ankerpunkte muss durch das Schlagen des Segels unbeschreiblich sein, und wenn das Stag nachgibt, gibt es nichts mehr, was den Mast nach vorne hält. Die Wanten und Backstage ziehen ihn alle nach achtern und Wind und Wellen werden ihr Übriges tun.

 

Ich brülle den Wind an, aufzuhören, brülle das Segel an, nicht mehr zu schlagen, und wundersamerweise gelingt es mir, die Segelfläche auf ein Minimum zu reduzieren, bevor das Stag aus seiner Verankerung reißt. Mit dem verringerten Segel hat auch der Autopilot weniger Probleme. Er hält den Windwinkel nun sicherer. Noch immer sehe ich Böen von über fünfzig Knoten, also weit über neunzig Stundenkilometern. Nun gilt es weitere Dinge in Betracht zu ziehen. Fährt man direkt oder fast direkt mit den Wellen, können diese das Boot gefährlich beschleunigen, wenn man eine solche hinuntersurft. Wird man zu schnell, so kann es passieren, dass man im Wellental seinen Bug in die See rammt. Das Boot würde plötzlich stoppen und sich mehr oder weniger überschlagen. Pitchpoling nennt sich das. Ein gekentertes Boot richtet sich durch den Ballast im Kiel wieder auf, aber eines, das sich überschlagen hat, ist kaum zu retten. Man verhindert das, indem man einen Treibanker hinter sich herschleppt, der das Boot verlangsamt, aber zum Glück hat der Sturm noch nicht lange genug gedauert, um die Wellen wirklich steil aufzubauen. Ich surfe sie mit bis zu zwölf Knoten hinunter. Zumindest in dieser Hinsicht hat das Schwimmdings schon Schlimmeres gesehen.

 

Nun bleibt mir nichts, als abzuwarten, bis ich durch den Sturm durch bin und zu hoffen, dass ich nicht vom Blitz getroffen werde. Mir fallen Hollywood-Filme ein, in denen immer gerade genug Licht vorhanden ist, dass der Zuschauer erkennen kann, was passiert. Die Realität sieht anders aus. Um mich herum herrscht absolute Schwärze. Benutze ich meine Stirnlampe, um das Segel zu kontrollieren, so verliere ich damit auch das letzte bisschen Nachtsicht, müssen sich meine Augen stets wieder neu an die Dunkelheit gewöhnen. Die Wellen, die mich herumschleudern wie eine Flipperkugel, sind unsichtbar, kommen aus dem Nichts des unendlichen Ozeans, das ich durchfahre, und so sehr ich auch einen Blitzeinschlag fürchte, nutze ich das kurze, flackernde Licht doch gerne, um unendlich flüchtige Blicke auf die See zu erhaschen. Was ich sehe, ist nicht schön. Vorausgesagt war wegen des Sturms im Süden eine Dünung von vier Metern. Vorausgesagt waren auch achtzehn Knoten Wind. Nun habe ich zweieinhalbmal so viel, in Böen dreimal, was bedeutet, dass die Wellen sicherlich weitaus höher sind als vier Meter. Zum Glück sind sie nicht fürchterlich steil.

 

Immer wieder wird mir auch bewusst, dass mein Boot mit fünfzehn Metern zwar relativ groß und komfortabel ist, aber eben auch von Jeanneau gebaut wurde, einem der günstigeren Hersteller, die Fließbandware liefern. Fünfzig Knoten Wind bringen es schon an seine Grenzen. Der Fiberglass-Rumpf ist dünn, nur einen guten Zentimeter dick, der Kiel ist kurz, das Ruder hängt lediglich am Steuerquadranten, ist nicht mit Scharnieren an Rumpf oder Kiel befestigt. Ich kann nur hoffen, dass alles halten wird.

 

Durch mein Abfallen vom Wind fahre ich nun nach Nordwesten. Tahiti liegt im Südwesten. Ich überlege, nach Makatea auszuweichen, doch dort kann man nicht ankern. Es gibt nur drei Anlegebojen, und wenn diese belegt sind, habe ich ein Problem. Die andere Option ist Rangiroa. Del und Ryan wollten sowieso, dass ich dorthin fahre, und das Tauchen dort soll fantastisch sein. Ich ziehe diese Möglichkeit in Betracht, aber erstmal muss ich den Sturm überleben.

 

Ich habe Glück. Nach nur einer guten Stunde lässt der Wind merklich nach, fällt auf dreißig Knoten ab. Auch die Blitze verlieren an Häufigkeit, wirken weiter entfernt, Donner ist kaum noch zu hören. Dann lässt der Regen nach. Das Schlimmste ist überstanden. Bei der Windgeschwindigkeit kann ich endlich sicher das Segel halsen, es auf die andere Seite des Boots bringen, um Kurs auf Rangiroa zu nehmen. Als der Wind dann unter fünfundzwanzig Knoten fällt, beschließe ich, es noch einmal mit Tahiti zu versuchen. Vielleicht war es nur diese eine Sturmzelle, die nun nach Osten weitergezogen ist. Tahiti liegt im Westen. Also halse ich erneut, nehme Kurs auf Tahiti, doch schon nach einer halben Stunde hat der Wind wieder auf fünfunddreißig Knoten zugenommen. Noch einmal drehe ich das Boot um, doch dieses Mal ist mein Entschluss unumstößlich. Ich werde nach Rangiroa fahren.

 

Am Tag versuche ich, so viel Schlaf nachzuholen, wie es nur geht, döse immer wieder im Cockpit weg, was sich als gute Maßnahme herausstellt, denn in der nächsten Nacht erwischt mich gleich die nächste Sturmzelle. Zwar ist sie weitaus kleiner und die Winde sind nicht ganz so stark, doch ich befinde mich nun zwischen mehreren Atollen und habe dementsprechend nicht unendlich Seeraum, um vor dem Wind wegzufahren. Zum Glück ist der Spuk nach zwei Stunden vorbei, und ich kann wieder auf Kurs gehen.

 

Am Ankerplatz von Rangiroa angekommen, erfasst mich eine Lebensfreude, wie sie mir selbst das größte Abenteuer meines Lebens, die Erfüllung meines Traums, auf die ich ein Jahrzehnt lang mit Tunnelblick hingearbeitet hatte, in dieser Intensität bislang nicht hat geben können. Alles ist fantastisch, alles ist wunderschön. Jeder Mensch ist nett, und wenn jemand es nicht ist, bedauere ich seine offenbar schwierigen Umstände, anstatt ihn ein Arschloch zu schelten. Das Leben ist schön, weil ich lebe, weil ich überlebt habe.

 

Zum Sturm:

Man sagt, ein Boot sei immer sicherer auf See als im Hafen. Ich kann dem nicht zu hundert Prozent zustimmen, aber dieser spezifische Sturm hat nicht nur mich auf dem falschen Fuß erwischt. Via Satellit simse ich mit Del, der immer noch in Fakarava liegt. An dem Ankerplatz, von dem aus ich aufgebrochen bin, hat der Sturm ebenfalls für viel Aufregung gesorgt, ihn in ein Schlachtfeld verwandelt, wie Del es ausdrückt. Einem Boot riss die Ankerkette, bei einem anderen, das an einer Ankerboje lag, konnten die Festmacherleinen der Gewalt von Wind und Welle nicht standhalten. Beide Boote waren gezwungen, die gesamte Nacht unter Maschine im Kreis zu fahren, weil nicht daran zu denken gewesen wäre, bei diesem Sturm und in der Dunkelheit neu zu ankern, zumal der Grund dort mit Korallenköpfen übersäht ist. Ein weiteres Boot verlor sein Vorsegel, nachdem die Reffleine riss und der Wind es ausrollte.

 

An einem anderen Ankerplatz nur fünf Meilen entfernt im gleichen Atoll rissen die Festmacherleinen einer guten Bekannten von mir. Sie ist wie ich alleine unterwegs und hatte weniger Glück. Noch bevor sie reagieren konnte, hatte der Sturm ihr Boot auf den Strand geschoben, wo es mit starker Schlagseite zum Liegen kam.

 

Noch Wochen später treffe ich auf Boote, die in dem Sturm Schaden genommen haben. Eines wurde in Makemo, einem anderen Atoll der Tuamotu-Gruppe, vor Anker liegend vom Blitz getroffen. Ein kleines Feuer im Maschinenraum war schnell gelöscht, doch das Ersetzen der gesamten Bordelektronik wird eine Weile dauern. Ein Katamaran, im Süden von Fakarava vor Anker, verlor seinen Halt und trieb auf ein Riff, wo beide unter dem Rumpf montierten Antriebe, die sogenannten Saildrives abbrachen. Dieses Boot hat nun nicht nur keinen Maschinenantrieb mehr, sondern auch zwei große Löcher im Rumpf, die geflickt werden müssen, bevor es überhaupt vom Riff geschleppt werden kann. Eine Ankerboje, ebenfalls am Südpass von Fakarava, an der Freunde von mir lagen, gab den ungeheuren Kräften, die durch die hohen Wellen, die über das Riff kamen, noch dazu dynamisch wirkten, nach. Das Boot meiner Freunde kollidierte mit dem hinter ihrem liegenden, bei dem es sich ausgerechnet um die Familie ihrer Tochter handelte. Nennenswerter Schaden entstand hierbei zum Glück aber nicht.

 

Der höchste Sachschaden allerdings entstand auf einer Superyacht, die sich wie ich auf See befand, ebenfalls auf dem Weg nach Tahiti und wahrscheinlich nicht weit von mir entfernt. Auf diesem Boot können die riesigen Segel nur hydraulisch bedient werden. Wegen der enormen Wellenbewegungen aber hatte das Hydrauliksystem irgendwo Druck verloren, so dass es streikte. Das voll gesetzte Großsegel ergab sich der Gewalt des Sturms und wurde völlig zerfetzt – ein Segel im Wert von 150.000 Dollar.

Völlig übermüdet nach zwei stürmischen Nächten, aber glücklich, am Leben zu sein, komme ich auf Rangiroa an.

Eine Bekannte von mir hatte weniger Gück. Sie lag an einer Ankerboje am Nordpass von Fakarava, als ihre Festmacherleinen rissen und ihre Yacht auf den Strand gespült wurde.

Mein erster Sonnenuntergang auf Rangiroa. Plötzlich ist alles schön.

Am nächsten Tag hat sich der Wind gelegt. Sichtlich mitgenommen berichte ich von den Ereignissen der Nacht. Warum ich das auf Englisch tue, weiß ich nicht.

Das Boot meiner Bekannten auf dem Strand in Fakarava. Sie hatte Glück im Unglück, dass sie auf weichem Sand landete anstatt auf einem der vielen Riffe. Das Video hat mein Kumpel Del gemacht.

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