Schon mehrmals habe ich vulkanische Eruptionen gesehen, doch sowohl beim Fuego in Guatemala als auch beim Fagradalsfjall in Island und dem Stromboli in Italien konnte ich nur aus zwei oder mehr Kilometern Entfernung beobachten, wie sie Material in den Äther schossen und überschwappende Lava Hänge hinunterlief. Mount Yasur auf der Insel Tanna, der zweitsüdlichsten Vanuatus, ist anders, denn hier kann ich vom Kraterrand aus in das brodelnde Innere der Erde blicken, kann ich durch ein Loch im Deckel die Suppe sehen, die unser Heimatplanet unter unseren Füßen kocht.
Ich könnte hier ewig über die holprige Anreise auf ausgewaschenen Dreckspisten schwafeln oder über meine Gefühle beim Anblick dieser Naturgewalt, könnte berichten von der Ehrfurcht und der neu aufgeworfenen Perspektive, aus der man sein eigenes marginales Dasein im Angesicht der hemmungslosen Kräfte unseres Planeten plötzlich betrachtet, von der Demut im Angesicht des visuellen Beweises für die lange schon gewonnene Erkenntnis, dass die eigene Existenz mathematisch besehen von vernachlässigbar geringer Bedeutung ist. Doch wen interessiert das schon im Vergleich zu Bildern und Videos von eben jenen Kräften?
Nur einen Gedanken möchte ich kurz anreißen, um die Suppe ins Verhältnis zum Topf zu rücken: Es ist sicherlich die brutalste Kraft, die ich je gesehen und gespürt habe. Die Gewalt der Eruptionen lässt den Boden unter meinen Füßen zittern und beben, während sie Lava und Gesteinsbrocken hunderte Meter in die Höhe katapultiert. Und doch stehe ich nur knappe 200 Meter entfernt vom Kern der Explosionen und benötige nicht einmal Gehörschutz. Seit 250 Jahren spuckt Mount Yasur Asche in den Himmel, ohne dass diese je die Atmosphäre jenseits von Tanna merklich beeinträchtigt hätte. Als der Krakatau im Jahr 1883 mit der 13.000-fachen Kraft der Hiroshima-Bombe ausbrach, ertaubte jeder Mensch im Umkreis von 16 Kilometern von der Lautstärke des Knalls, der noch im 3.600 Kilometer entfernten Alice Springs und im 4.800 Kilometer entfernten Rodrigues zu hören war. Die Druckwelle wurde von Barografen auf der gesamten Erde registriert und umrundete dieselbe dreieinhalbmal. Die ausgeworfene Asche gelangte bis in die Thermosphäre in Höhen von 80 Kilometern und verursachte einen einjährigen vulkanischen Winter, der die Durchschnittstemperatur in der nördlichen Hemisphäre um 0,4 Grad senkte. Mit anderen Worten: Die ungezügelte Gewalt des Mount Yasur, die mich immerhin über die mathematisch vernachlässigbar geringe Relevanz der individuellen Existenz reflektieren lässt, ist ihrerseits mathematisch vernachlässigbar gering im Vergleich zu den Kräften, die unserer Erde innewohnen. Wir sollten unseren Planeten mit Respekt behandeln. Er ist stärker als wir.
Es siedet im Suppentopf. Der Abhang vor mir ist enorm steil und besteht aus losem Material. Einen Zaun gibt es trotzdem nicht. Vor ein paar Jahren rutschte ein japanisches Paar während seiner Flitterwochen in den Abgrund.
Bilder und Videos können das Gefühl der eigenen Marginalität nicht widergeben.
Der vordere Krater, den ich nicht sehen kann, schießt glühende Lava in den Nachthimmel von Vanuatu. Die Vibrationen der Erde unter meinen Füßen sind schlecht auf Video zu bannen.
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