Vor fast exakt vier Wochen haben wir Indonesien verlassen. „Wir“ sage ich, weil ich nach über einem Jahr fast durchgängigen Einhandsegelns für den Indischen Ozean mal wieder Crew dabeihabe. Celine ist eine alte Freundin, ebenfalls eine Tradi-Seglerin. Dereinst segelten wir gemeinsam auf der Thor Heyerdahl von den Kapverden bis nach Kiel. Julia ist von crewseekers.com, einer Webseite, wo Kapitäne Crew und Crew Kapitäne finden können. Sie ist noch nie gesegelt, wirkt aber abenteuerlustig und lernbegierig, was mir ausreicht.
Unser erster Stopp nach fünf Tagen auf See ist Christmas Island, das zu Australien gehört und wegen seiner roten Waldkrebse berühmt ist, die bei ihren jährlichen Wanderungen zum Laichen im Meer wie eine Lawine über Straßen und Häuser ziehen. Doch unser erster Kontakt ist mit menschlichen Bewohnern, den Beamten des australischen Grenzschutzes nämlich. In Indonesien hat das Einklarieren über einen Tag gedauert, und ich habe gehört, dass die Behörden auf dem australischen Festland überaus streng sind. Nicht so hier. Die Formalitäten dauern fünf Minuten, und man hat sogar das Ausklarierungsdokument bereits mitgebracht, so dass ich bei meiner Abreise nicht erneut vorstellig werden muss.
Die Spinnen auf Christmas Island sind zum Teil von recht beachtlicher Größe. Gegessen habe ich sie dann aber doch nicht.
Hauptindustrie ist eine Phosphatmine. Ansonsten ist die Insel berüchtigt als Zielort von Flüchtlingsbooten, zumeist Menschen aus der arabischen Welt, die von Schleusern über Indonesien auf kaum seetüchtigen Gefährten hierher verschifft werden. Als ich vor zwölf Jahren das erste Mal hier war, sah ich eins dieser Boote ankommen. Über die Jahre hat sich das hier eingerichtete Internierungslager für Flüchtlinge zu einem weiteren großen Arbeitgeber entwickelt.
1.600 Menschen leben in Christmas Island. Selbst in dieser kleinen Gemeinschaft gibt es eine signifikante malaysische und eine etwas kleinere chinesische Diaspora, die für ein wunderbares multikulturelles Flair sorgen. Am Wochenende trifft sich gefühlt die gesamte Insel in einer der beiden Kneipen. Zudem gibt es am Golfclub ein Gratis-BBQ, zu dem man uns einlädt. Fünf Tage bleiben wir, bevor die See uns wieder ruft.
Unser nächster Stopp ist das nur gute 530 Seemeilen, also vier Tage entfernte Cocos Keeling. Cocos Keeling ist ein winziges Atoll mitten im Indischen Ozean. Atolle sind versunkene Vulkane, auf deren Kraterrändern sich Korallen ansiedeln, die nach und nach neues Land schaffen, kleine Inselchen und Riffe, die einen Ring formen, in dessen Mitte viel türkises Wasser anzutreffen ist. Ich habe in meinem Leben schon viel Wasser gesehen, aber die Blau- und Türkistöne in der Lagune von Cocos Keeling sind meinem begrenzten Erfahrungsstand zufolge absolut einzigartig.
Der einzige Ort, an dem wir ankern dürfen, ist vor Direction Island. Direction Island ist einen knappen Kilometer lang, etwa hundert Meter breit und unbewohnt. Sobald der Anker im Grund ist, umringen acht Schwarzspitzenriffhaie das Boot, setzen sich kontrastreich vom weißen Sand ab. Alles ist exakt, wie ich es in Erinnerung habe. Sofort springen Julia und Celine ins Wasser, um die Haie zu begrüßen.
Die knapp sechshundert Einwohner, die hier leben, verteilen sich auf zwei Inseln, Home und West Island. In Home Island leben fast ausschließlich Malaien, die ursprünglichen Bewohner des Atolls, und gesprochen wird Bahasa. In West Island finden sich auch einige weiße Australier und ein kleiner Flughafen. Berühmtheit erlangte Cocos Keeling dereinst, weil die australische Marine hier im November 1914 die erste siegreiche Seeschlacht ihrer Geschichte führte, als die HMAS Sydney den berüchtigten deutschen Kreuzer SMS Emden versenkte.
Aus dieser Blue Spotted Trevally habe ich Poisson Cru gemacht, eine polynesische Spezialität und meines Erachtens das beste Fischgericht seit der Erfindung von Fischen.
Dieser Sweetlips hat frisch gegrillt ganz fantastisch gemundet.
Strandfeuer unter Palmen und Sternenhimmel, ein Rumgetränk in der Hand, Stockbrot und auf dem Feuer gegrillter frisch geschossener Fisch: Cocos Keeling hat Spaß gemacht.
Bei uns findet sich bald schon eine schöne Routine ein. Julia verbringt ihre Tage mehr oder weniger komplett am Strand, möchte morgens abgesetzt und nur zum Mittagessen abgeholt werden. Ich gehe mit meiner Speerharpune auf Jagd, wobei mich Celine mal begleitet und mal nicht. Nach dem Mittagessen legen wir uns gemeinsam an den Strand und lesen, bevor wir am späten Nachmittag zurück zum Schwimmdings fahren, um Teig für Stockbrot zu machen und den geschossenen Fisch, Bier und Rum einzuladen. Zurück am Strand nehmen wir unseren ersten Sundowner, während wir im seichten, warmen Wasser dümpeln, die magischen Farben des Sonnenuntergangs bewundern und dem gelegentlichen neugierigen Riffhai Hallo sagen. Dann machen wir Feuer, rösten Stockbrot und grillen den Fisch. Tagsüber finden sich gelegentlich Touristen aus West Island ein, aber spätestens nach Sonnenuntergang haben wir eine ganze tropische Palmeninsel nur für uns allein. Am nächsten Tag das Gleiche. Lather, rinse, repeat.
Das einzige Problem ist, dass die Haie so langsam aber sicher Wind davon bekommen, dass immer dort, wo ich mit meinem Dinghy auftauche, bald darauf zappelnde und blutende Fische im Wasser sein werden. Während ich bei meinen ersten Speerfisch-Expeditionen nur sehr gelegentlich Haie sehe, sind sie nach ein paar Tagen omnipräsent. Es sind lediglich Schwarzspitzenriffhaie, seltener findet man Weißspitzen, und nur einmal sehe ich einen Grauen Riffhai. Alles relativ ungefährlich, aber wenn sie Blut riechen, werden sie durchaus aggressiv. Einmal, als ich etwa dreißig Meter vom Dinghy entfernt einen großen Bumphead Parrotfish schieße, sind sie zu schnell für mich. Ich muss den Fisch durch die Hauptschlagader getroffen haben, denn während ich ihn hinter mir herschleppe, rückwärts schwimmend, um alles im Auge zu behalten, umgibt ihn eine Wolke roten Bluts. Ihn so blutend über meinen Kopf aus dem Wasser zu halten, traue ich mich nicht, zumal er dafür unter Umständen sogar zu schwer wäre. Etwa zehn Meter vom Dinghy entfernt haben zwei Haie ihn geortet. Ein paar Mal kreisen sie um den am Speer zappelnden Fisch, dann machen sie kurzen Prozess. Nach vier Bissen – zwei pro Hai – ist von dem großen Fisch, dem größten, den ich je geschossen habe, nichts übrig. Beeindruckend ist, mitanzusehen, dass die Haie nie an dem Fisch zerren, dass sie mit ihren Zähnen nicht mahlen müssen: Ein schneller Biss trennt ganz sauber ein halbkreis-förmiges Stück aus ihrer Beute. Ein paar Tage später erwischen Haie eine Blue Spotted Trevally, die Anil, der auf einem befreundeten Boot unterwegs ist, geschossen hat. Ansonsten schaffen wir es immer, unsere Beute schnell genug in Sicherheit zu bringen.
Der Indische Ozean ist rau, seine Überquerung die ruppigste einer Weltumsegelung in der Passatwindzone. Große Tiefs im Süden bringen hohe Dünungen von vier Metern und mehr aus verschiedenen Richtungen, teilweise fast direkt von vorne. Wegen der gleichzeitigen Dünung aus mehreren Richtungen findet das Boot keinen Schaukel-Rhythmus, wird recht arbiträr herumgeschleudert. Während der sechzehn bis siebzehn-tägigen Überfahrt nach Mauritius wird es sicherlich mal besser und mal schlechter werden, und die langfristige Vorhersage ist hier schwierig, aber dennoch sollte man nicht gleich in ein potenziell gefährliches Tief hineinstarten. Weil sich aber genau ein solches von Westen auf uns zu bewegt, sitzen wir erst einmal fest. Etwa fünf Tage hatte ich ursprünglich hierbleiben wollen. Nun sind es vierzehn geworden. Julia stört es nicht, denn die würde am liebsten für immer bleiben, aber auch ich genieße den Rhythmus aus Fischen, Lesen und Strandfeuer. Es gibt Schlimmeres.
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