Nachdem wir lange auf ein Wetterfenster gewartet haben, holen wir am Sonntag, den 9.6. endlich Anker. Auf den Tag genau zwei Wochen waren wir nun auf Cocos Keeling, aber so schön es hier auch ist, müssen wir doch weiter. Am 25.6. wird ein neues Crewmitglied in Mauritius landen. Dieses Datum ist für uns schon nicht mehr realistisch zu schaffen. Der Weather Router unserer Freunde vom Katamaran Atlas empfiehlt, noch bis Dienstag zu warten, aber ich erkenne in den Wetterkarten keinen Grund dafür. Nach zwei Tagen werden wir durch einen Tiefdruckgraben mit Kaltfront müssen, wo sicherlich mit Starkwindzellen und viel Regen zu rechnen ist, doch einmal hindurch, müssten wir auf der anderen Seite von Graben und Front sehr stabile Passatwinde finden. Da sich alles stets im Fluss befindet und Vorhersagen sich ändern können, halte ich es immer für sinnvoll, so früh wie irgend möglich zu starten, sobald sich ein Wetterfenster auftut. Über mein Satelliten-Modem kann ich jederzeit neue sogenannte GRIB-Dateien, animierte Wetterkarten, herunterladen und werde dementsprechend über Veränderungen informiert sein. Auf diese Weise werde ich Tiefdruckgebiete weiträumig umfahren können.
Weil der Indische Ozean wild und schwer vorhersagbar ist und diese Überfahrt ohnehin die raueste der gesamten Weltumrundung zu werden verspricht, stehe auch ich dieses Mal in Kontakt mit einem Weather Router, der über mehr Ressourcen verfügt als das, was ich mit meinem langsamen Modem herunterladen kann, und mir täglich Empfehlungen schicken wird. Denke ich mir so. Leider beruht all das auf der Annahme, dass mein Gerät auch funktioniert. Es ist erst anderthalb Jahre alt und angeblich sehr robust gebaut. Da dieses kleine wasser- und stoßfeste Kästchen gerade einmal eine Datenrate von etwa einem MB pro Stunde (normales Internet packt die gleiche Datenmenge in eine Sekunde) schafft und trotzdem über tausend Euro kostet, gehe ich davon aus, dass das Geld in qualitativ hochwertige Bauteile fließt, zumal der Hersteller weiß, dass dort, wo diese Geräte eingesetzt werden, ein Ausfall überaus unangenehm wäre.
Und so mache ich mir zunächst keine großen Sorgen, als schon drei Stunden nach unserer Abfahrt das Modem auf einmal anfängt, Sperenzchen zu machen und dauerhaft ein sehr schlechtes Signal anzeigt. Noch kurz zuvor habe ich eine Email problemlos erhalten und meine daher zu wissen, dass alles gut funktioniert. Eine Weile warte ich noch, aber als sich nach dem Mittagessen nichts verändert hat, schalte ich das Gerät aus und wieder ein, und siehe da, der Trick funktioniert. Ich schicke eine Email mit meiner Position an meinen Weather Router, damit dieser mir für diese Position Wetterdaten und Strategievorschläge schicken kann. Dann lege ich mich zum Mittagsschläfchen hin, und als ich wieder erwache, muss ich mit Schrecken feststellen, dass das Modem die gleichen Zicken macht – wenn auch mit dem kleinen Unterschied, dass diese sich nun nicht mehr abstellen lassen. Mehrmals versuche ich es mit Aus- und Einschalten, dann entnehme ich für eine Stunde die Batterie für einen harten Reset. Am nächsten Morgen versuche ich die Zurücksetzung auf Werkseinstellungen, doch langsam aber sicher muss ich mich mit dem Gedanken anfreunden, dass wir die raueste Etappe ohne jegliche Satellitenkommunikation werden angehen müssen.
Allerdings weiß ich, dass wir hinter dem Tiefdruckgraben eine große Zone stabiler, wenn auch sehr starker Passatwinde finden werden, weshalb ich mir um das Wetter kaum Sorgen mache. Gelegentlich bildet sich hier im Indischen Ozean zwischen Madagaskar und den Maskarenen ein Tief, das dann nach Osten zieht, doch selbst wenn wir in einen größeren Sturm geraten, ist das nicht das Ende der Welt. Wir würden mit dem Wind fahren, um seine relative Geschwindigkeit zu verringern, und warten, bis das Tief vorübergezogen ist. Unter Umständen würden wir in die falsche Richtung fahren, aber irgendwann wäre auch das überstanden.
Meine einzige wirkliche Sorge gilt meiner Familie und den Angehörigen meiner Crew, die sich sicherlich wegen des plötzlichen Ausfalls der Kommunikation ängstigen und nun über zwei Wochen auf Nachricht von uns werden warten müssen. Das Satellitenmodem, ein Iridium Go!, übermittelte neben Mails und SMS auch unseren Track. Wenn jemand sich diesen besieht, wird er nur sehen, dass er irgendwo westlich von Cocos Keeling im Nirgendwo endet, wobei die letzte übermittelte Position immer die gleiche bleiben wird. Ich hoffe, alle werden sich vorstellen können, dass lediglich die Kommunikation, nicht aber das Schwimmdings abgesoffen ist, aber ein mulmiges Gefühl wird sie sicherlich begleiten, bis sie von uns hören, und das tut mir unendlich leid.
Bereits am zweiten Tag auf See bekommen wir besseren Wind als erwartet, ab dem dritten wird es wild. Starke Winde, die zum Teil leicht von vorne kommen und eine schwere See werfen das Schwimmdings herum wie ein Spielzeug. Ständig brechen Wellen ins Cockpit, so dass man nirgendwo trocken sitzen kann, doch auf der Haben-Seite stehen dafür über 180 Seemeilen pro Tag, die wir an den nächsten fünf Tagen schaffen. Über einen so langen Zeitraum bin ich noch nie einen so hohen Durchschnitt gefahren, und schließlich reicht die Geschwindigkeit auch für unseren ersten Fisch, einen Mahi-Mahi.
Wegen der Attacken der Huthi-Rebellen im Roten Meer fahren mehr Schiffe die Route um Südafrika, und so sehen wir fast täglich Schiffe auf der elektronischen Seekarte, wo ihre Position durch das sogenannte automatische Identifikationssystem angezeigt wird. Wenn sie in Funkreichweite kommen, rufe ich sie an und erkundige mich nach der Wettervorhersage. So weiß ich, dass uns vielleicht recht starke Passatwinde, aber nichts Gefährliches bevorsteht.
Dann lässt der Wind für einige Tage nach, erlaubt nur noch gute 120 Seemeilen am Tag, frischt aber rechtzeitig wieder auf, um eine Ankunft am 23.6., nach also nur 14 Tagen auf See zu erlauben. Meine realistischen Kalkulationen lagen zwischen 16 und 17 Tagen. 15 Tage war meine optimistische Einschätzung. Von 14 Tagen hätte ich nie zu träumen gewagt.
Beim Einklarieren in Mauritius informiert mich die Küstenwache, es sei ein Missing vessel report für mich rausgeschickt worden, und ich müsse das australische Joint Rescue Coordination Center darüber informieren, dass ich nicht abgesoffen sei. Ein solcher Report geht an die gesamte Berufsschifffahrt raus und bittet alle Schiffe, nach dem vermissten Boot Ausschau zu halten und Sichtungen zu melden. Da ich Schiffe sogar aktiv angefunkt habe, gab es wohl recht viele Sichtungsmeldungen, die dann an meine Familie weitergeleitet wurden, so dass deren Sorgen ein wenig besänftigt wurden. Aber noch einmal werde ich mich nicht auf ein einzelnes Satellitengerät verlassen. In Zukunft werde ich mein Garmin inReach wieder aktivieren, um es zur Not als Backup zu haben, falls das neue Iridium Go!, das man mir hoffentlich zeitnah auf Garantie zuschicken wird, auch ausfallen sollte. Es ist bereits mein zweites Iridium. Das erste gab nach nicht einmal einem halben Jahr den Geist auf. Für ein Gerät von diesem Preis ist das ziemlich abartig.
Aber darüber kann ich mir auch die Tage noch Gedanken machen. Erst einmal bin ich froh, nach zwölf Jahren endlich zurück in Mauritius zu sein. Ich freue mich.
Kommentar hinzufügen
Kommentare